Der Hüter des Schwertes
übrigen Wachen der Königsgarde sicherten das Tor, aber ihnen stand mehr als eine Kompanie Panzerreiter gegenüber. Ihr Anführer war eine unverwechselbare Gestalt. Herzog Gello.
»Der Kronrat hat mich gebeten, vorübergehend und bis diese Krise überwunden ist, die Befehlsgewalt zu übernehmen«, brüllte er. »Hier ist der offizielle Erlass. Ich befehle euch als Soldaten Norstalos’ und Wachen der Königsgarde, euren Verband aufzulösen und in euer ursprüngliches Regiment zurückzukehren. Für die Sicherheit des Palastes und gewiss der des Landes sind von nun an meine Männer verantwortlich.«
Merren fragte sich kurz, ob ihre wenigen Gardisten sich Gello widersetzen würden. Aber sie waren hoffnungslos in der Unterzahl, und es würde ein sinnloses Massaker werden. Sie erwartete natürlich nicht, dass sie für sie starben, aber es würde ihr etwas bedeuten, wenn Gellos Verrat sie so zornig machte, dass sie zumindest versuchten, ihn aufzuhalten. Sie hätte ihnen am liebsten zugerufen: »Das ist der Mann, der letzte Nacht eure Freunde hat ermorden lassen!« Doch gerade als sie mit diesem Gedanken spielte, sah sie, wie der Kommandant der Königsgarde, Hauptmann Kay, seinen Männern befahl, ihre Schwerter und Wappenröcke abzulegen und auf einen Haufen zu legen.
Auf dem Platz vor ihrem Palast verfolgten eine Handvoll Stadtbewohner das Geschehen – offensichtlich neugierig, aber keineswegs bekümmert angesichts dieses Putsches gegen ihre Königin. Wo waren die aufgebrachten Menschenmengen? Wo waren die Gardisten, die lieber starben, als ihre Königin im Stich zu lassen? Wie sollte sie sich das erklären? Sie wollte fragen, konnte aber die passenden Worte nicht finden. Ihre Hofdamen scharten sich um sie; ihnen allen hatte es die Sprache verschlagen. Keine unternahm etwas, um sie zu trösten. Sie hätte das sehr begrüßt, obwohl sie sie abgewiesen hätte, weil sie nicht schwach wirken wollte.
Gerade, als sie das dachte, blickte Herzog Gello zu ihr herauf. Und selbst aus der Ferne konnte Merren erkennen, dass er siegesfreudig grinste. Wie sehr sie sich doch danach sehnte, ihn gedemütigt zu sehen!
»Möge Aroaril mir beistehen. Bring mir einen Krieger, der dir das Grinsen austreibt«, fluchte sie.
Es war ein langer Ritt von Chell nach Wollin, und durch Karias Anwesenheit wurde er noch länger. Sie wusste, dass Martil sie nicht gern dabei hatte, aber das war okay, weil sie auch nicht bei ihm sein wollte. Sie wollte zurück zu Pater Nott. Natürlich hatte der Pater gesagt, sie könne nicht bei ihm bleiben, aber das war einfach dumm. Er war derjenige, bei dem Karia sein wollte; und er war freundlicher als Martil oder ihr Paps und ihre Brüder. Also lag die Lösung auf der Hand. Sie musste Martil das Leben nur so schwer wie möglich machen, dann würde er sie zu Pater Nott zurückbringen. Diese Methode hatte sie auch bei ihrem Paps versucht, aber der hatte sie geschlagen, bis sie es sein ließ. Dieser Martil dagegen hatte versprochen, sie niemals zu schlagen. Solange er es sich nicht anders überlegte, würde sie ihm zusetzen, bis er aufgab und sie zurückbrachte. Es schien ihn wütend zu machen, wenn sie nach Essen fragte, also tat sie das, so oft sie konnte. Ihr Bauch, der an so viel Nahrung nicht gewohnt war, brauchte viele Toilettenpausen. Die schienen Martil auch zu stören. Es war eigentlich eine recht witzige Sache, dieses Spiel zu spielen und zu sehen, wie weit sie Martil treiben konnte. Jedes Mal, wenn er böse zu werden schien, zwang er sich zur Ruhe und beruhigte sich wieder. Aber was sie ihn dann murmeln hörte, waren Lüche, das wusste sie ganz bestimmt, denn Pater Nott hatte es ihr einmal gesagt. Das Dumme war nur, dass Martil trotz all ihrer Bemühungen nicht umkehrte. Also beschloss sie, sich noch mehr anzustrengen. Sie war neugierig auf die vielen Dinge, die sie zum ersten Mal sah; da war es nur natürlich, dass sie Fragen stellte.
Martil knirschte so sehr mit den Zähnen, dass er sich sicher war, sie würden gleich bersten. Jedes Mal, wenn sie quengelte, dass sie etwas zu essen oder zu trinken brauche, und jeder Halt, damit sie ihr Geschäft verrichten konnte, zerrten an seinen Nerven. Aber damit konnte er umgehen. Nun fing sie auch noch an, ihn über jede Pflanze auszufragen, die sie sah, über jeden Vogel, den sie hörte, und auch über alle Tiere, die sie gern sehen wollte, die aber entgegen ihren Wünschen lieber im Verborgenen blieben.
Er beschloss ganz ruhig, dass er sich nicht von ihr
Weitere Kostenlose Bücher