Der Hüter des Schwertes
bezwingen lassen würde. Wenn die Berellianer ihn nicht kleingekriegt hatten, würde es diesem kleinen Mädchen ebenso wenig gelingen. Was auch immer sie versuchte, er würde nicht die Beherrschung verlieren und sie so gewinnen lassen. Diese Genugtuung würde er ihr nicht gönnen. Und nachdem er so aus der Sache einen Wettstreit gemacht hatte, war ihm schon sehr viel wohler dabei. Aber ein Problem bestand weiterhin. Wie sollte er den Wettstreit gewinnen?
Er war fast etwas neidisch auf Pater Nott, der in der Lage gewesen war, mit Karia so mühelos umzugehen. Und ihm kam der Gedanke, dass es jetzt ein kluger Schritt sein mochte, ihr etwas zu geben, auf das sie sich freuen könnte.
»Wir werden bald in eine Stadt kommen. Da kaufen wir dir etwas anzuziehen und ein paar andere schöne Sachen. Dann gehen wir essen, und zwar so viel, wie du willst. Würde dir das gefallen?«
»Können wir danach zurück zu Pater Nott?«
»Nein«, sagte Martil, zum gefühlten zwanzigsten Mal.
»Ich hasse dich.«
Aufgemuntert durch solche Gespräche war Martil überglücklich, als sie endlich Wollin erreichten. Chell war ein kleines Dorf gewesen, aber Wollin diente nicht nur Chell, sondern auch einigen anderen Dörfern und Gehöften im Umkreis eines Tagesritts als Marktstadt. Das Städtchen war sogar von einer Mauer umgeben, doch diese erwies sich als eher schmächtig und von so armseliger Höhe und Bauart, dass ein Veteran wie Martil sie für einen Witz, aber nicht für ein ernsthaftes Hindernis halten konnte. Aber mehr als die Mauer beschäftigte ihn der Gedanke, wie Karia sich verhalten würde, sobald sie in der Stadt waren.
Der ehemalige Kriegshauptmann Rowran tat nichts lieber, als mit seinem eigenen Boot aufs Meer hinauszufahren. Selbst als er noch im Heeresdienst gestanden und in den Bergen gekämpft hatte, war die See sein Traum gewesen. Sie hatte etwas Beruhigendes, und er machte immer längere Reisen mit seinem Segelboot, seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war. Wenn die Küste nicht mehr in Sichtweite war und er niemanden um sich herum hatte, schienen seine Probleme einfach zu verschwinden. Dann ging es ihm am besten.
Dies war kein guter Tag gewesen. Er hatte in einem Wirtshaus etwas getrunken und sich auf einen Nachmittag voller Erzählungen gefreut, als der Barde seinen Vortrag mit der Nachricht begann, Kriegshauptmann Macord habe sich umgebracht. Er sei in seinem Haus verbrannt. Also würde er anstelle seines geplanten Programms einige Balladen über den Krieg vortragen und zum Schluss das Lied von Bellic anstimmen. Rowran spürte, dass die Blicke aller in der Taverne augenblicklich auf ihm ruhten. Er wusste, dass er verschwinden musste – und zwar schnell.
Als er endlich auf seinem Boot war, war sein einziger Wunsch, möglichst schnell von allem und jedem fortzukommen. Daher beging er den Fehler, dieses Mal nicht zu überprüfen, ob sich jemand in die kleine Kabine an Bord geschlichen hatte. Er hisste die Segel, legte ab und lief aus dem Hafen.
Cezar lotste Rowrans Boot später im Schutz der Dunkelheit in eine kleine Bucht. Die Leiche hatte er über Bord geworfen. Vorher hatte er ihm jedoch das Herz herausgeschnitten und es in einen eigens dafür vorgesehenen Kasten gelegt, den er jetzt in einem Sack über der Schulter trug. Er wollte das Boot auf die Felsen auflaufen lassen, damit die Anwohner es am nächsten Morgen fanden. Sie würden dann zweifelsohne schlussfolgern, dass Rowran ertrunken war. Nun zu Kriegshauptmann Oscarl, den Markuz und Onzalez für die größte Bedrohung des berellischen Ehrgeizes und der Vision des Angstpriesters hielten. Danach konnte er dann Kriegshauptmann Martil in Ruhe zur Strecke bringen.
Karia war noch nie zuvor in Wollin gewesen. Und da sie die letzten sechs Monate im Wald verbracht hatte, ließen all die Geräusche, Gerüche und das Getriebe sie schon vor den Mauern der Stadt vergessen, Martil zu quälen. Sie war daran gewöhnt, ein paar Kühe und Schafe zu sehen. Aber hier waren die Straßen voll von großen Herden, und Martil war sogar gezwungen, deswegen Umwege in Kauf zu nehmen. Einige Karren waren mit Kisten beladen, in denen Hühner gackerten. Andere waren voller Heu, Früchten und Gemüse. Begeistert beobachtete sie alles, an dem sie auf dem Weg zum Stadttor vorbeiritten.
Das Tor ragte über ihnen auf, und angesichts des Lärms der Stadt vergrub Karia die Finger in Tomons Mähne, um etwas Trost zu finden.
»Und woher kommt dieser Geruch?«, wollte sie wissen, während sie
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