Der Hüter des Schwertes
sich die Nase zuhielt.
Martil erklärte ihr, dass es der Geruch einer Stadt war, in der Tausende Menschen auf engem Raum zusammenlebten, und der Geruch ihres Abfalls und ihrer Ausscheidungen und ihrer Tiere, die in der Stadt waren.
»Das ist ekelig. Wie kann man denn so leben?« Sie versuchte, durch den Mund zu atmen.
Für Karia war die Stadt einfach zu viel. Ihren Augen, ihren Ohren und insbesondere ihrer Nase fiel es schwer, das alles zu ertragen. Gut gekleidete Männer und Frauen liefen zusammen die Straße entlang, und ihre Kleider waren mit Abstand das Prächtigste, was sie je zu Gesicht bekommen hatte. Tagelöhner und Diener eilten vorbei. Ladenbesitzer priesen lautstark ihre Waren an, und unentwegt rumpelten Karren durch die Straßen.
Das machte ihr ein wenig Angst, und sie fühlte sich seltsamerweise ein bisschen besser, weil sie wusste, dass Martil ja da war, wenn die Marktschreier ihnen direkt etwas zuriefen und versuchten, sie an ihre Stände zu locken. Bestimmt lag das daran, sagte sie sich, dass Pater Nott ihn mochte, er also nicht so schlecht sein konnte wie ihr Vater, auch wenn er sie nicht zurück zu dem Pater bringen wollte.
Martil hatte leicht erheitert beobachtet, wie die Stadt sie zuerst eingeschüchtert und dann sogar dazu gebracht hatte, sich leicht an ihn zu lehnen, als suche sie seinen Schutz. Das war jedenfalls besser, als wenn sie nur schrie oder versuchte, ihn zu schlagen.
»Warum sind die ganzen Leute hier? Was machen sie hier alle?«, fragte sie wissbegierig.
»Na ja, einige wohnen hier, und andere sind hergekommen, um ihre Waren feilzubieten. Alle, die hier wohnen, brauchen etwas zu essen, aber in einer Stadt gibt es keinen Platz für Felder und Weiden. Also muss das, was die Leute essen sollen, hergebracht werden. Es wird hier verkauft, und manches wird in noch größere Städte gebracht.«
Sie nickte beeindruckt. In Wahrheit herrschte nicht allzu reges Treiben; es gab genug Platz auf den gepflasterten Straßen, sodass er Tomon nur selten zügeln musste. Aber es reichte offensichtlich, um Karia völlig in Bann zu ziehen. Ihre Blicke klebten an den Kleidern der Frauen, und Martil genoss die Ruhe zwischen ihren Fragen.
»Da wären wir«, sagte Martil, als er das Aushängeschild des Ladenbesitzers gesehen hatte, nach dem er gesucht hatte.
»Wo sind wir denn?«, fragte Karia ihn, als er ihr vom Pferd half. Er hatte fast damit gerechnet, dass sie wieder schreien oder wegrennen würde, aber stattdessen versuchte sie, so nah bei ihm zu bleiben, wie es nur ging. Sie mag mich hassen, aber sie hat vor mir weniger Angst als vor einem Haufen fetter Händler, dachte er.
»Wir sind bei einem Schneider. Und wir werden dir ein paar Kleider besorgen. Komm.«
Er führte sie an zwei gut gekleideten Frauen und einem Diener vorbei, der hinter ihnen unter der Last ihrer Einkäufe taumelte. Dann betraten sie die Schneiderei.
Menner brüstete sich gern, der beste Schneider in Wollin zu sein. Natürlich sagte er nie dazu, dass es in dem Städtchen nur zwei andere gab, beides alte Frauen, die auch noch nie in Norstalos-Stadt gewesen waren, geschweige denn jemals feine Kleider für irgendwelche Edelleute genäht hatten.
Er wäre gerne in Norstalos-Stadt geblieben; aber er war nicht nur ein talentierter Schneider, sondern auch ein großes Klatschmaul. Und nachdem er ein paar anzügliche Geschichten über Herzog Gello weitergegeben hatte, waren einige Männer von dessen Leibwache gekommen, um ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Sie hatten sich jedoch weder für die neuesten Farben noch für den damals unerhörten Schnitt seiner modernsten Röcke interessiert, sondern ihm lediglich mitgeteilt, dass er seine Eingeweide als Halsschmuck tragen würde, wenn er in der nächsten Woche noch in der Stadt wäre.
Keine Stadt in ganz Norstalos war weiter von den im Westen gelegenen Ländereien des Herzogs entfernt als Wollin, und inzwischen betrieb er hier eine gewinnbringende Schneiderei. Seine Kundinnen waren vor allem die Frauen von reichen Landwirten und Kaufleuten. Traurigerweise musste er hier allerdings auf den gewohnten Tratsch verzichten – ihm kam hier kaum jemand wichtig genug vor, dass er sich über ihn das Maul zerreißen wollte. Er hatte gerade zwei Kleider an eine Stammkundin verkauft, als die Klingel ertönte und ein interessantes Paar den Laden betrat. Ein Krieger und seine Tochter, allem Anschein nach. Der Mann war offenkundig Rallorer, nach seinem Hemd und seiner Hose zu urteilen, und das
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