Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
geschafft?«
»Überall braucht man einen, der das Karnickel ist«, hatte Berndorf geantwortet. Das schien Villekens einzuleuchten. Aber vielleicht hatte er auch nur einfach keine Lust, eine Geschichte aufzuräumen, die ihn nichts anging, sondern höchstens die Leute da unten mit ihrem putzigen Kirchturm.
»Es wär nett, wenn ich Sie nicht mehr hier sehen würde«, hatte er zum Abschied gesagt. »Wir haben selber genug Leute hier, die Murks machen.«
Über dem New Yorker Stadtteil Queens war – gerade zwei Monate nach dem Anschlag auf das World Trade Center – ein Airbus abgestürzt, es hatte 255 Tote gegeben, »Bonner Generalanzeiger« und »FAZ« berichten ausführlich. In Afghanistan geht der Vormarsch der Nordallianz weiter, in den Korrespondenten-Berichten klingt die etwas bange Frage an, wie sich diese neuen Verbündeten der USA wohl in Kabul aufführen werden. Im »Generalanzeiger« steht nichts oder noch nichts über den Bombenalarm in Röttgen, auch nichts darüber, dass die Rotterdamer Hafenbehörde in den Containern einer angeblichen deutschen Hilfsorganisation eine ganze Ladung Schnellfeuergewehre aufgespürt hatte. In der »FAZ« entdeckt Berndorf zwar einen kurzen einspaltigen Bericht über die Pressekonferenz eines örtlichen Machthabers im Kongo, der drei ausgebrannte Panzer vorgezeigt und behauptet hatte, diese seien von der deutschen Bundesregierung an die Rebellen geliefert worden. Was sich hinter diesem Propagandamanöver verberge, sei aber noch nicht erkennbar, meldete der Korrespondent abschließend. Über den Waffenfund in Rotterdam berichtet auch die »FAZ« nicht.
Zu unbedeutend, das alles? Was geht es mich an, denkt Berndorf und schließt die Augen. In einem Zug kann er nicht schlafen, aber manchmal mag er dieses Schweben zwischen Wachsein und irgendetwas, was noch nicht Schlaf ist, diese Schnipsel von Tagträumen, die an seinen geschlossenen Augen vorbeiziehen wie ein alter körniger Schwarzweißfilm. Von Zeit zu Zeit kehrt er in das Wachsein zurück, die Rückkehr ist unangenehm, wenn er etwas zu lesen hätte, könnte er sich daran festhalten, warum nicht wieder einmal ein Gedicht auswendig lernen? Aber die beiden Gedichtbände sind perdu, pulverisiert, mitsamt Hundedecke und -leine, Berndorfs Reisenecessaire, seinem Schlafanzug und den karierten Polsterbezügen der alten Autositze in die Luft geflogen und zu Fitzelkram und Sondermüll zerrissen. Warum hat er nicht in der Bahnhofsbuchhandlung daran gedacht?
Während er sich und seinen Rücken zurechtrückt, spürt er, dass seine linke Jackentasche ausgebeult ist. Er greift hinein und holt ein Taschenbuch heraus, »KreuzVerhör« heißt der Titel, seit wann schleppt er das mit sich herum? Seit er in der Jagdhütte war. Er saß am Tisch und blätterte das Buch durch, im Schein der Petroleumlampe, dann hat er es eingesteckt, weiß der Kuckuck warum.
Zuzeiten hat er sich auch schon das Kreuzworträtsel der Hamburger Wochenzeitung vorgenommen, wenn er mit dem Schachproblem fertig war, donnerstagabends beim Italiener, oder auch während einer ruhigen Nachtschicht. Hat man einmal den Bogen heraus, nach dessen Denk- und Assoziationsmuster die Fragen konstruiert werden, ist die Lösung nicht allzu schwer. Auch in dem Sammelband, der Berndorf irgendwie bis in diesen Zug gefolgt ist, sind die ersten Rätsel gelöst, komplett in kleinen hurtigen Druckbuchstaben ausgefüllt. Er hat von Graphologie nicht viel Ahnung, aber nach der Handschrift des Landmaschinenhändlers Neuböckh sehen sie nicht aus. Ist es also die Handschrift des Ministerialbeamten Constantin Autenrieth? Geübt in Aktenvermerken, zierlich in grüner oder roter Tinte ausgeführt…
Er blättert einige Seiten durch, bis er zu dem einen Rätsel kommt, das nur zum Teil ausgefüllt ist, und zwar mit Buchstaben, die ihm sperriger erscheinen als die anderen und steiler.
In der rechten Hälfte klaffen Lücken, einzelne Worte sind schon eingetragen, aber die vertikalen Verbindungen haben sich offenbar nicht einstellen wollen. Wieder betrachtet er eines der Worte, die nach rechts vorstoßen, es ist das Wort 46 waagrecht, er ist ein wenig irritiert und sieht noch einmal in der Aufgabenstellung nach:
… 46: Du verstehst, das Harte unterliegt
Eingetragen ist DAODEJING. Sicher doch, denkt Berndorf. Bekommt er den Vers noch zusammen?
Es rumpelt eine Weile in den Synapsen, dann rasten die fünf Zeilen ein:
Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: »Hat er was
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