Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
vergnügt aus, sieben Minuten vor Mitternacht?
»Wie oft wollen Sie mich das noch fragen?… Ich sagte es Ihnen doch bereits, dass ich es nicht mehr genau weiß. Ich nehme an, es war im Herbst 1991.«
»Wussten Sie da schon, dass er nach Südamerika gehen würde? Oder würde gehen wollen?«
Cosima Autenrieth schlägt ein kurzes helles Lachen an. »Ich wusste gar nicht, dass sich Polizistinnen so gedrechselt ausdrücken können…, dass er würde gehen wollen… Leider weiß ich heute nicht mehr, ob ich es damals wusste. Aber ich erinnere mich, dass er schon längere Zeit geplant hat, den Dienst zu quittieren und in die Wirtschaft zu gehen.«
»Das ist auch so ein Punkt, der mir nicht recht klar ist«, sagt Tamar. »Ihr Vater war ja kein nachgeordneter Beamter, er hatte eine Position, die man nicht so leicht aufgibt… Gab es da politische Differenzen?«
»Sie sind gut«, stellt Cosima Autenrieth fest. »Glauben Sie, mein Vater hätte politische Differenzen im Bundeskanzleramt bei uns zu Hause zum Abendbrot ausgebreitet? Und wenn er es getan hätte, glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen das hier darlegen, ausgerechnet Ihnen? Wüssten Sie denn überhaupt, wovon die Rede wäre?«
»Sie könnten es mir ja erklären«, sagt Tamar. »Bisher hatte ich angenommen, solche leitenden Beamten würden nicht ausgewechselt wie die Hilfskellner. Man lernt nie aus.«
Ein kleines Zucken läuft über Cosima Autenrieths Gesicht. »Vermutlich haben Sie wirklich keine Ahnung. Aber das ist kein Vorwurf. Wie sollten Sie auch.« Sie blickt sich in dem kleinen schäbigen Büro um. Dann richtet sie wieder den Blick auf Tamar. »Mein Vater war kein Bierkellner und trug auch keine Ärmelschoner und hatte keinen dieser Jobs, bei denen um 17 Uhr der Aktendeckel zugeklappt wird. Der nicht. Mag sein, dass er irgendwann das Gefühl bekam, dafür werde er eigentlich nicht gut genug bezahlt.«
»Ist das eine Vermutung, oder hat er darüber gesprochen?« »Natürlich hat er darüber gesprochen. Und sicher war es so, dass er die Chance nutzen wollte, noch einmal richtiges Geld zu verdienen. Das konnte er nur in der Wirtschaft.«
»Welche Verbindungen hatte er eigentlich nach Südamerika?« »Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob er solche hätte haben müssen. Er sprach Spanisch, las Borges und Bioy Casares im Original, wenn Ihnen das was sagt.«
»Wie war Ihr Vater finanziell gestellt?«
»Gutbürgerlich. Wie Beamte sich finanziell so stellen. Er hatte zwei Mehrfamilienhäuser in Stuttgart geerbt. Falls Sie glauben, dass das Goldgruben sind, haben Sie sich getäuscht. Aber Sozialhilfe muss meine Mutter nicht beantragen.«
Es klopft an der Tür, der Polizeihauptmeister Polaczek kommt herein und legt ein längliches verschnürtes Paket auf den Schreibtisch.
»… ’tschuldigung, dass es so lange gedauert hat. Aber es war hinter einen Ballen mit Hanfpflanzen geraten.«
Tamar holt eine Papierschere aus ihrer Schreibtischschublade und beginnt, die Bindfäden des Pakets aufzuschneiden und es vorsichtig auszupacken. Polaczek fragt, ob er gehen kann, aber Tamar schüttelt nur den Kopf.
Unter dem Packpapier kommt blaumetallisch schimmernd das Jagdgewehr zum Vorschein, das sie in der Hütte sichergestellt hat. Sie zieht Plastikhandschuhe an, und plötzlich hat sich etwas geändert. Wir reden jetzt nicht mehr von Borges und von Stuttgarter Mietshäusern, sagen die Handschuhe. Wir reden jetzt von Mord.
Vorsichtig hebt sie das Gewehr hoch, untersucht es, bis sie die Gravur auf dem Verschluss findet. Sie hält das Gewehr so, dass Cosima Autenrieth die Gravur sehen kann.
»Kennen Sie diese Waffe?«
»Mein Vater ist Jäger.« Cosima Autenrieth wendet den Blick ab. »Und er hat mich unterwiesen, wie man mit Schusswaffen umgeht. Besonders hat es mich nicht interessiert.«
»In der Jagdhütte bei Lauternbürg waren Sie nie?«
»Doch. Als junges Mädchen. Später hat mein Vater es hingenommen, dass wir – also meine Mutter und ich – diese Hütte weder romantisch noch gemütlich fanden. Die Betten waren immer klamm, es gab nicht einmal Warmwasser zum Duschen, und ein totgeschossenes Tier zu zerlegen, ist überhaupt nicht lustig.«
»Diese Gravur sagt Ihnen nichts?« Noch einmal hält Tamar ihr das Gewehr vors Gesicht.
»Gehen Sie weg damit«, antwortet Cosima Autenrieth. »Natürlich kenne ich dieses Ding. Ich war dabei, als er es sich ausgesucht hat, und weiß noch, dass ich es unverschämt teuer fand. Er hat auch den Entwurf für die
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