Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
das war die Zeit, wo dort der Krieg losging, und die Serben hatten einen Truck von uns kassiert…« Er steht auf. »In meinem Schreibtisch sind meine Notizbücher, ich kann heraussuchen, wie das damals war.« Er geht zum Schreibtisch, wie ein Schatten folgt ihm Kadritzke, zwei Zentner Lebendgewicht auf lautlosen Sohlen. »Und was, Neuböckh, war mit diesem Jagdgewehr?« Meunier hat sich nicht einmal umgedreht.
»Das war in der Hütte«, sagt Neuböckh und zieht die Schreibtischschublade auf. »Autenrieth ging ins Ausland. Da nimmt keiner das Gewehr im Handgepäck mit…«
»Da ist was dran«, wirft Berndorf ein. »Fragen Sie ihn doch, Meunier, ob er für den Autenrieth nicht auch einen Koffer aufgehoben hat. Einen mit Geld drin. So besonders gescheit ist das ja auch nicht, damit durch den Zoll zu marschieren…« Neuböckh greift in die Schreibtischschublade. Berndorf blickt hoch. Mit einem mächtigen Sprung wirft sich Kadritzke auf Neuböckh, ein Schlag trifft krachend irgendetwas, das entzwei geht, Neuböckh stolpert nach hinten und knickt ein. Kadritzke steht schon wieder. Er greift in die Schublade, nimmt einen großkalibrigen Revolver heraus und entlädt ihn.
»Diese Sonntagsjäger!«, sagt Meunier, der sich nun doch auch umgedreht hat. »Kaum haben Sie einmal einen Rehbock getroffen, mit Müh und Not, glauben sie schon, sie könnten einem einen Revolver unter die Nase halten.«
Kadritzke bückt sich und zieht Neuböckh zu sich hoch. Irgendwie ist dessen Gesicht aus den Fugen geraten, Blut läuft ihm aus der Nase. Kadritzke packt ihn am Hinterkopf und sieht sich das Gesicht an. Neuböckh schreit auf.
Kadritzke lässt ihn in den Schreibtischsessel gleiten. Fast behutsam tut er das. Er holt ein Papiertaschentuch aus seiner Lederjacke und drückt es Neuböckh in die Hand.
»Und?«, fragt Meunier.
»Er wird’s überleben«, antwortet Kadritzke.
»Das ist nun gerade nicht ganz so glücklich gelaufen«, meint Meunier. Auf seiner Stirn bildet sich eine ärgerliche Falte.
Berndorf horcht auf.
Die Tür fliegt auf und Tamar steht im Zimmer, ihre Pistole, die sie in beiden Händen hält, auf Kadritzke gerichtet.
»Polizei!«, sagt sie. Und: »Gehen Sie von dem Mann weg!« Sie geht auf den Schreibtisch zu. »Drehen Sie sich um, die Hände auf den Rücken!« Kadritzke betrachtet sie ruhig, aus schmalen, unbewegten Augen, dann dreht er sich um, legt die Hände auf den Rücken und lässt sich Handschellen anlegen. Tamar greift sich den Stuhl, auf dem Neuböckh gesessen hat, und stellt ihn hinter Kadritzkes Kniekehlen.
»Setzen Sie sich!«
Langsam lässt sich Kadritzke auf den Stuhl nieder.
»Das ist ja alles ganz nett, junge Frau«, sagt Meunier. »Aber Sie überschreiten Ihre Befugnisse. Stecken Sie Ihre Pistole wieder weg, und schließen Sie die Handschellen meines Mitarbeiters wieder auf. Und wenn Sie sich dann ausgewiesen haben, werden wir selbstverständlich allen Ihren Anweisungen Folge leisten.«
Tamar antwortet nicht, sondern geht zu Neuböckh und betrachtet sein Gesicht. »Soll ich den Notarzt rufen?« Der Mann versucht, den Kopf zu bewegen. Halblaut kommt ein »Nein«. »Ich glaube doch«, meint Tamar, zieht das Telefon zu sich her und wählt.
»Junge Frau«, sagt Meunier, und seine Stimme ist noch immer leise und ruhig. »Sie sind keine Polizistin. Sonst wären Sie nicht allein hier. Und Sie wüssten, dass Sie ohne Hausdurchsuchungsbefehl so nicht auftreten können.«
Tamar bekommt eine Verbindung, sie meldet sich und fordert einen Krankenwagen an und ein Einsatzfahrzeug. »Ein Verletzter nach tätlicher Auseinandersetzung, mehrere Personen sind zu überprüfen.«
»Hören Sie«, sagt Meunier und hält Tamar ein silberglänzendes Mobiltelefon hin, »ich habe hier die Kurzwahl von Kriminaldirektor Steinbronner aufgerufen. Wenn Sie wirklich Polizeibeamtin sind, wissen Sie, wer das ist. Nehmen Sie das Handy und rufen Sie ihn an, schildern Sie ihm die Lage, mein Name ist Meunier, sagen Sie ihm das, und …«
»Wir werden Sie jetzt in die Polizeidirektion bringen«, antwortet Tamar und betrachtet ihn, als nehme sie ihn erst jetzt wahr. »Dort werden wir sehen, ob Kriminaldirektor Steinbronner für Sie zu sprechen ist.«
Der Mann, der an der Wand neben Kuttlers Schreibtisch steht, ist mittelgroß, hat das Haar nach hinten gekämmt, über den Jeans hängt ein schlampig zusammengefressener Bauch. Ein unbeteiligter Blick aus angestaubter Brille streift Berndorf und geht über ihn hinweg.
»Ich
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