Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
selbstgefällig. Während des ganzen gestrigen Nachmittags hatte er mit Chefredakteuren und Rundfunkräten telefoniert, hatte Interviews gegeben und versichert, sie seien exklusiv, und von Gespräch zu Gespräch sei seine Laune, so meldete der Flurfunk, immer besser geworden, tatsächlich war er am Abend von geradezu perlender Liebenswürdigkeit gewesen…
Eigentlich kann ihr niemand zumuten, das auch noch zu lesen, denkt Tamar, aber dann kommt Maria – heute in Jeans und einem grauen Rollkragenpullover – und bringt ihr den Latte Macchiato und blickt ernst und forschend und irgendwie gar nicht aufsässig, und Tamar ist es plötzlich… sie weiß nicht wie, und so sagt sie nur: »Danke…« und nimmt wieder das »Tagblatt« vor und den Artikel mit der Schlagzeile: »Den Eisberg haben wir jetzt geortet«, was immer das mit Lauternbürg zu tun haben kann.
»Jedes Tötungsverbrechen ist für sich genommen ungeheuerlich«, sagt Kriminaldirektor Steinbronner, »niemals würde ich deshalb erlauben, dass man von dem Mord an Eugen Hollerbach als der Spitze eines Eisbergs spricht.« Steinbronner schüttelt seinen mächtigen Kopf und blickt suchend auf dem mit Akten überladenen Tisch seines Schreibtischs im Neuen Bau umher. »Das klingt so, als wäre dieser Mord weniger schwerwiegend und würde nur an der Oberfläche schwimmen. Davon kann keine Rede sein.«
Dennoch ist das Bild, das der Journalist gewählt hat, nicht ganz unpassend. »Ich stimme Ihnen zu«, sagt Steinbronner, »wenn Sie von einem Eisberg an krimineller Energie sprechen.« Dem sei in der Tat so. »Aber wir haben diesen Eisberg geortet und kennen seine Umrisse. Er wird kein weiteres Unheil mehr anrichten.«
Bedeutet das, dass die Morde an Hollerbach und an dem Regierungsbeamten Constantin Autenrieth in Zusammenhang stehen? Gibt es das mordende Phantom des Lautertals? »Kein Phantom«, korrigiert Steinbronner sofort. »Aber der Zusammenhang ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem gibt es ein Verbindungsglied, das auch konkreten Personen zugeordnet werden kann. Aus ermittlungstaktischen Gründen haben wir dies bisher sehr zurückhaltend behandelt.«
Kenner des Neuen Baus wissen, dass dieses Verbindungsglied mit den Waffengeschäften zu tun haben könnte, in die ein Landmaschinenhändler aus dem Alb-Donau-Kreis verstrickt ist. Der Beamte Autenrieth, zuletzt unter anderem für den Bundessicherheitsrat tätig, betreute bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst die Genehmigungsverfahren für Waffenexporte. Ist er dabei auch mit mafiosen Waffenhändlern in Kontakt gekommen?
»Das ist natürlich ein ganz heißes Eisen«, sagt Steinbronner dazu. »Aber es gibt erhebliche Verdachtsmomente, die in diese Richtung weisen. Es kann sein, dass Eugen Hollerbach in einer Sache recherchiert hat, die für ihn eine Nummer zu groß gewesen ist.«
Und was ist mit der American Connection, von der in Ulm in den letzten Tagen gemunkelt wird? Steinbronners Gesicht verdüstert sich. »Da wird zu viel Wind gemacht«, antwortet er entschieden. »Aber es stimmt, die Amerikaner haben sich für diese Waffengeschäfte interessiert. Ist ja auch ihr gutes Recht. Und wir hoffen, dass einige ihrer Informationen auch für uns nützlich sind. Leider halten sich die betreffenden Mitarbeiter gerade im Ausland auf. Diese Auskunft ist, vorsichtig gesagt, suboptimal.« Dann aber straffen sich Steinbronners Gesichtszüge. »Aber glauben Sie mir. Wir werden den Fall aufklären. Brutalstmöglich.«
Der Mann mit dem Labrador ist aufgestanden und nickt ihr noch einmal zu, bevor ihn sein Hund zur Tür zerrt. Tamar gibt den Gruß zurück und legt das »Tagblatt« zur Seite. Frenzel! Aber dass Steinbronner beide Morde dem Landmaschinenhändler Neuböckh anhängen will, das ist wahr.
Seit dem Morgen putzt Kuttler die Lauternbürger Haustürklinken mit der Frage, wer wann welche Veränderungen im Geschäftsbetrieb des Landmaschinenhandels Neuböckh wahrgenommen hat. Kopfschüttelnd tut Kuttler das, denn eigentlich würde er viel lieber diese eine Frau befragen.
Aber die kann sich ja an nichts erinnern.
Tamar selbst hat am Nachmittag einen Termin bei einem Kreisjägermeister, der ihr über mögliche Querelen bei der Vergabe der Lauternbürger Jagd berichten soll.
Dabei ist sie sich ganz sicher, dass Neuböckh nicht der Mörder dieses Autenrieth ist. Wer aus Lauternbürg ist, versenkt keine 50000 Mark im Wasserloch. Niemals.
»Wir sind gerade allein«, sagt eine Stimme neben ihr, Tamar blickt
Weitere Kostenlose Bücher