Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
zu seinem erhebenden Ende kommt.
»Was um Gottes willen ist das?«, fragt Marielouise in die plötzlich wieder einkehrenden Stille. »Wir sind doch nicht auf dem Friedhof?«
»Es ist ein Posaunenchor«, sagt Berndorf. »Er kommt jeden Samstag und bereitet die Patienten auf das Jenseits vor. Ist das kein frommes Werk?«
»Im Krankenhaus ganz gewiss nicht«, antwortet Marielouise. »Nicht auf diese Weise. Warum lächeln Sie?«
»Entschuldigung«, sagt Berndorf, »aber Sie haben das schon einmal angemahnt. Als Sie hier jemanden besucht haben, ich nehme an, es war der Freund, von dem Sie erzählt haben, spielten die Posaunisten ›Näher mein Gott zu Dir …‹. Sie haben das nicht so besonders glücklich gefunden und einen Brief geschrieben.«
»Ach ja«, sagt Marielouise. »Mein Freund war hier? Dann ist das wohl nicht gut ausgegangen, ich sehe es an Ihrem Gesicht… Und ich habe mich also schon einmal beschwert? Gut, dass ich das weiß … Aber Sie – warum wissen Sie das alles?« Berndorf will zu einer Erklärung ansetzen, aber inzwischen haben die Posaunisten die Spucke ausgeschüttelt und heben zum nächsten Choral an. Berndorf lehnt sich resigniert zurück und sieht, wie zwischen den Tischreihen hindurch ein Mann auf sie zukommt.
Es ist Dr. Guntram Hartlaub.
Berndorf steht bedächtig auf. Hartlaub nickt ihm zu und gibt Pascal einen Klaps auf die Schulter und beugt sich zu seiner Frau, aber sie wendet den Kopf ab und der Kuss auf die Wange bleibt ein angedeuteter.
Dann tauscht er mit Berndorf einen Händedruck und dreht sich um und hört – stehend, den Hut in der Hand – den Posaunisten zu …
Er wolle nicht länger stören, sagt Berndorf, als die Posaunisten wieder das Gerät absetzen, und verabschiedet sich.
»Sehe ich Sie noch einmal?«, fragt Marielouise, als sie Berndorf die Hand reicht.
»Ich glaube nicht«, antwortet er, und hält ihre Hand einen Augenblick fest. »Ich…«
Aber da setzt der Posaunenchor auch schon wieder ein und bläst weg, was immer Berndorf hatte sagen wollen. Er lächelt und nickt Marielouise zu und dreht sich um und geht an den Bläsern vorbei dem Ausgang zu.
Die Posaunisten sind dabei, ihre Instrumente einzupacken, Guntram Hartlaub – auf dem Weg zu seinem Wagen – bleibt noch einen Augenblick beim Dirigenten stehen, einem rotgesichtigen Herrn, und dankt ihm für diese klangvolle Bereicherung des Samstagnachmittags. »Das ist eine sehr schöne Einstimmung auf den Sonntag gewesen, und ich darf Ihnen auch im Namen meiner Frau für das bewegende Spiel Ihrer Bläser danken… Es hat uns allen sehr gut getan.«
»Ich danke Ihnen«, antwortet der Dirigent und wischt sich mit einem großen weißen Taschentuch die erhitzte Stirn ab, »leider hören wir so etwas nicht immer.«
Hartlaub geht weiter, durch die automatisch sich öffnende Tür hinaus ins Freie, und setzt seinen Hut auf. Der Regen hat aufgehört, von Südwest her fegt ein erfrischender Wind über die Anhöhen. Hartlaub bleibt einen Augenblick stehen und atmet durch.
»Ich hätte Sie gerne kurz gesprochen«, sagt eine Stimme neben ihm. Hartlaub verharrt kurz, dann dreht er sich halb um. »Ich bin leider sehr in Eile«, sagt er und blickt fast mechanisch auf seine Armbanduhr. »Ich habe noch eine Besprechung mit dem Pfarrverein.«
»Ich begleite Sie zu Ihrem Wagen«, sagt Berndorf.
»Wie Sie meinen«, antwortet Hartlaub und geht langsam weiter. »Was kann ich…?«
Berndorf geht neben ihm. »Ich habe sozusagen eine Frage an den Seelsorger.«
»Solche Fragen sollten aber nicht zwischen Tür und Angel besprochen werden«, wendet Hartlaub ein.
»In Zürich und Ulm befinden sich drei Männer unter Mordverdacht in Haft, von denen ich weiß, dass keiner von ihnen das Verbrechen begangen hat«, fährt Berndorf fort, ohne auf den Einwand zu achten. »Zwar sind diese Männer Verbrecher, alle drei, aber diesen einen Mord, der ihnen angelastet wird, den haben sie nicht begangen.«
»Und was ist Ihr Problem dabei?«
»Wenn sie verurteilt werden, geht der wahre Täter straffrei aus.«
»Kennen Sie denn den wahren Mörder?« Hartlaub biegt auf den Gehweg ein, der zu den Besucherparkplätzen führt.
»Ja«, sagt Berndorf, »ich kenne den Täter. Ein Mörder ist er, glaube ich, nicht. Von allen Beteiligten gehört er sogar am wenigsten ins Gefängnis.«
»Ist das nicht eine Entscheidung, die Sie der Justiz überlassen sollten? Und die kann nur richtig entscheiden, wenn sie alle Sachverhalte kennt.«
»In
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