Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
ich davon nicht gerade rasend begeistert gewesen bin, dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein. Aber …«
Er breitet die Hände aus und faltet sie dann wieder über seinem Bauch. »Der Mensch ist ein von Natur aus neugieriges Wesen, und ich musste ja annehmen, dass Sie Ihre Frage nicht ohne einen triftigen Grund gestellt haben. Allerdings hat es mir einige Mühe bereitet, meinen Studienfreund zu näheren Auskünften zu überreden, seine Auftragsarbeiten für die Stasi sind ihm aus nachvollziehbaren Gründen ein wenig peinlich.«
Berndorf nickt höflich.
»Nun haben Sie mich nach einer bestimmten Arbeit gefragt«, fährt der Prälat fort. »Und als ich meinem Freund Ihre Fragestellung vortrug…« Er nimmt den Zettel auf, den ihm Berndorf vor drei Tagen gegeben hat, hält ihn weitsichtig von sich und liest missbilligend vor: »›Das Strafgericht über die Hirten – Innerkirchliche Konsequenzen nach 1945‹ … Das ist eine Fragestellung, die ich Ihnen nachsehe, weil Sie Laie sind. Aber niemand, der die jüngere Kirchengeschichte wirklich kennt, hätte eine solche Formulierung zugelassen oder sie gar als Thema für eine Dissertation angenommen. Es gab kein Strafgericht über die Hirten, schon deshalb nicht, weil das unterstellt hätte, die Hirten seien in irgendeiner Weise schuldig geworden… Lesen Sie das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 nach, man ist nachlässig gewesen, hat es an Liebe mangeln lassen, gewiss doch. Aber steht dort ein Wort von einem irgendwie angebrachten Strafgericht, wer immer befugt gewesen wäre, es zu halten?«
»Konsequenzen werden aber doch wohl zu ziehen gewesen sein?«, hört sich Berndorf zaghaft einwenden.
»Die Kirche ist kein Amtsgericht und auch kein Politbüro«, fast zornig wischt der Prälat den Einwand beiseite. »Sie müssen schon entschuldigen, aber Ihre Frage hat meinen Freund missgestimmt. Kennen Sie das, wenn durch das Telefon plötzlich dieses kalte Unverständnis kriecht? Wenn kein Lächeln, kein mimisches oder gestisches Zeichen der Verbindlichkeit das auffangen kann? Er hat mir dann reichlich unwirsch erklärt, dass es selbstverständlich keine derartige Arbeit gegeben hat, nicht in seinen Seminaren. Wohl aber …« Der Prälat lehnt sich in seinem Sessel zurück, die Beine übereinander geschlagen.
»…wohl aber habe er eine Untersuchung betreut über den weiteren Berufsweg einer kleinen Zahl von Theologen, die wegen ihrer Gegnerschaft zum Dritten Reich Repressalien ausgesetzt gewesen sind und trotz Gestapo-Haft, KZ oder Strafbataillon überlebt haben. Das Ergebnis der Untersuchung bestand darin, dass keiner – oder kaum einer – dieser Theologen nach 1945 in der kirchlichen Hierarchie aufgestiegen ist oder auch nur in die jeweilige Landessynode berufen wurde …«
Der Prälat macht eine Pause und hebt wieder beide Hände, als ob er zeigen wolle, dass die menschliche Natur nun einmal viel Verständnis erfordere. »Mir erscheint das sehr einleuchtend«, fährt er fort. »Das tut doch nicht gut, wenn man den Gemeindegliedern einen Pfarrer zeigt und sagt, seht her, das ist ein besserer Mensch als ihr, der hat mehr Mut gehabt, der hat sich für seinen Glauben sogar in die Strafkompanie schicken lassen oder ins KZ, und dafür erhöhen wir ihn jetzt oder machen ihn zum Dekan…« Väterlich schüttelt der Prälat den Kopf. »Nein, nein, das hätte nicht gut getan.«
»Die Arbeit handelte also von der anhaltenden Diskriminierung von Pfarrern, die keine Nazis waren?«, fragt Berndorf. »Diskriminierung! Wieder so ein Wort aus den Schubladen der politischen Korrektheit«, antwortet Wildenrath. »Es war Fürsorge. Fürsorge für die Gemeinden, Fürsorge auch für die betroffenen Pfarrer, denen kein Gefallen getan worden wäre, hätte man es anders gehandhabt.«
»Sehe ich das recht«, fragt Berndorf, »dass ihr Freund die Arbeit benutzt hat, um sich selbst ein rechtfertigendes Mäntelchen aus anderer Zeit zu stricken?«
»Durchaus nicht«, antwortet Wildenrath. »Er sagt, er habe ganz unverhohlen Hinweise eingebaut, dass Theologen zu jeder Zeit zu merkwürdigen Dingen gezwungen würden. Wer die Arbeit sorgfältig gelesen habe, hätte daraus durchaus den Zwangscharakter dieser Auftragsarbeit erkennen können… Freilich ist das nun wirklich blauäugig. Niemand liest heute noch wissenschaftliche Arbeiten mit der Sorgfalt, die erforderlich ist, um die unsichtbaren Schriftzeichen im Palimpsest zu erkennen.«
»Ist die Dissertation denn
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