Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
überhaupt einen Riesen gebraucht hat.
Aber wird die Soko Lauternbürg wirklich so bald darüber Bescheid wissen? Irgendwie glaubt Tamar das nicht. Noch vor der Einsatzbesprechung war sie im Fotolabor gewesen und hatte dort in Auftrag gegeben, dass ihr aus Hollerbachs Waschküchen-Œeuvre die Köpfe herauskopiert und vergrößert werden. Doch die Abzüge würde sie erst am nächsten Vormittag erhalten, und ob sie brauchbar sein würden, ist noch sehr die Frage.
Berndorf verlässt das Verlagsgebäude durch den Personaleingang und geht an den Parkplätzen vorbei auf die Neithardstraße hinaus, Polizisten kennen diesen Weg, wenn in der Nachtschicht Zeit dafür ist, holt man sich dort eine Andruck-Ausgabe. Die Neithardstraße ist ein Sträßlein, Felix verweilt an einer Straßenlaterne und hebt das Bein, Berndorf wartet, von Nordwest schiebt ein kalter Wind dunkle Regenwolken vor sich her. In Berndorfs Jackentasche stecken die Kopien der Zeitungsartikel, die ihm der Archivar angefertigt hat. Keine schöne Geschichte, denkt Berndorf, ganz gewiss auch nicht für Jonas Seiffert.
Er biegt in die Schafferstraße ein und überquert sie. Ein geparkter Caravan versperrt die Sicht, und so sieht er zu spät, dass er einer kleinen Gruppe ausweichen muss, zwei Männern und einer Frau, die vor dem alten, braunroten, unansehnlichen Evangelischen Gemeindehaus stehen und sich unterhalten. »Oh!«, sagt einer der Männer, als Felix’ Kopf sich seiner Hand nähert, »wen haben wir denn da!« Berndorf registriert, dass der Mann genug Verstand hat, um die Hand nicht ruckartig wegzuziehen, dann holt er Felix an der Leine zu sich her.
»Falls ich mich nicht sehr täusche«, mischt sich der zweite Mann ein, »ist das heute einer der bekanntesten Hunde hier in Ulm.«
Berndorf spürt einen Stich in seinem linken Bein, das vor Jahren vom Chirurgen zusammengeflickt worden ist. Denn der zweite Mann ist Pfarrer Johannes Rübsam von der Pauluskirche, er und Berndorf kennen sich, und das hat nicht nur damit zu tun, dass Ulm eine kleine Stadt ist.
»Ich traf den Redakteur Frentzel gestern bei Tonio«, fährt Rübsam fort, »und wunderte mich ein wenig über sein Gerede, wie es einem bei Frentzel zuweilen so gehen mag. Er hatte es von Hunden und dem Bestattungswesen, heute Morgen habe ich es dann begriffen…«
Inzwischen steht man nun doch lange genug zusammen, um sich bekannt zu machen, Rübsam stellt Berndorf vor – »der frühere Leiter der Mordkommission« –, bei Rübsams Begleitern wiederum handelt es sich um das Ehepaar Marielouise und Guntram Hartlaub, »Sie haben es vielleicht heute im »Tagblatt« gelesen, Guntram Hartlaub ist gestern Abend zu unserem neuen Dekan gewählt worden.«
»Meinen Glückwunsch«, sagt Berndorf höflich, obwohl er nicht so genau weiß, was ein evangelischer Dekan zu tun hat und ob man ihn dazu beglückwünschen sollte. Hartlaub ist ein mittelgroßer Mann, Anfang 50, mit vollem Gesicht und dunklem, nach hinten gekämmtem Haar, das ausgeprägte Geheimratsecken freilegt. Sollte der Name Berndorf etwas sagen? Er weiß es nicht, ohnehin scheint ihm die Frau interessanter, ein strenges, herbes Gesicht, die blonden Haare nach hinten gebunden, Marielouise also, ein schöner Name.
Wieso lächelt ihn die Frau an? Es ist ein scheues, ein fast unmerkliches Lächeln und auch schon wieder verweht, aber es galt ihm … Plötzlich kennt er den Grund.
»Wir sind uns schon einmal begegnet.« Nun versucht auch er ein Lächeln.
»Ich weiß«, antwortet die Frau. »In der Universitätsklinik. Sie haben diesen alten Herrn besucht.«
Erste Regentropfen fallen, Rübsam spannt einen Regenschirm auf, der Nordwest fährt in das Gestänge und kippt den Schirm nach oben.
Diesen alten Herrn, ja. Also ist der andere Patient ein jüngerer Mensch gewesen. »Besuch ist zu viel gesagt«, meint Berndorf schließlich. »Es sollte einer werden. Aber dann hat der Posaunenchor die Wand einstürzen lassen.«
»Wenn wir uns beeilen«, sagt Rübsam, »kommen wir noch trockenen Fußes bis zur Kirche …«
Der neue Dekan hat einen Taschenschirm aufgespannt, der nicht umkippt, und hält ihn über seine Frau, die Gruppe wendet sich nach links zum Alten Friedhof und weiter zur Pauluskirche. Berndorf und der Hund sind dabei, irgendwie hat sich das so ergeben, denn nach Hause hat er den gleichen Weg. Der Wind wird heftiger, Rübsams Schirm klappt schon wieder nach oben, über ihnen reißen die Wolken auf und schütten sich leer.
»Hierher«,
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