Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
es mir so vor, ein hohles verstörtes Heulen, ich dachte schon, es sei irgendeine Art von Wölfen oder Hyänen. Irgendwann bin ich in meine Badeschuhe geschlüpft und durch das Gebäude gewandert, auf der Suche nach einem Ausblick, von dem ich etwas sehen könne …«
Er stellt die Kaffeetasse auf einem Sims ab und lässt dabei Berndorf nicht aus dem Auge.
»Mein Gastgeber hat es mir am nächsten Morgen beim Frühstück sofort angesehen. ›Ah!‹, rief er, ›Sie Bedauernswerter! C’était la nuit du chien belge, wie unsere Leute hier sagen…‹ Bei Vollmond sei es immer besonders schlimm, fügte er hinzu, und ich sagte, das sei ja nicht nur ein Hund gewesen, sondern eine ganze Meute, aber er hat mir heftig widersprochen, nein, es sei ein einzelner, und hat mir die Geschichte erzählt, die Geschichte des Belgiers …«
Marielouise hat eine Gruppe aufeinander gestapelter Stühle entdeckt, sie nimmt sich einen davon und setzt sich, die beiden Männer folgen ihrem Beispiel.
»Der Belgier war zu Anfang der Sechzigerjahre Direktor dieser Mine gewesen«, fährt Hartlaub fort. »Er muss mit seiner Frau noch ganz herrschaftlich gelebt haben. Dann kamen die Kongo-Wirren, die Provinz hatte sich losgelöst, vielleicht erinnern Sie sich, der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld kam damals bei einem Flug nach Katanga ums Leben.«
Berndorf erinnert sich. Er hat es gerade eben nachgelesen. »Schließlich intervenierten die Vereinten Nationen und vertrieben die Katanga-Gendarmen. Die Mine wurde von malaiischen Soldaten besetzt, denen ein fürchterlicher Ruf vorausging. Der Direktor war unterwegs gewesen, als die Malaien einrückten, und kam wohl anderntags zurück. Leider war er es nicht gewohnt, sich Anweisungen geben zu lassen, und fuhr an einem der Wachposten vorbei, ohne anzuhalten, weiter auf die Villa zu, die er als sein Eigentum betrachtete. Aber in der Villa hatte sich der malaiische Kommandeur einquartiert, und der Wachposten schoss und die schöne europäische Frau war tot und der Belgier selbst wohl auch verletzt. Trotzdem stieg er noch aus dem Wagen, schwankend, wie betrunken, und mit ihm sprang sein Schäferhund heraus und hüpfte an seinem Herrn hoch, der sich so komisch bewegte, der Belgier versuchte den Hund zu beruhigen oder festzuhalten und gleichzeitig merkte er, dass seine Frau tot im Wagen lag, und hob hilflos drohend die Hand gegen den Wachposten, und der Wachposten schoß wieder, und da war auch der Belgier tot… Die Mine ist wohl erst vor einigen Jahren wieder in Betrieb genommen worden.«
Berndorf will wissen, was mit dem Hund war.
»Das Tier musste wohl auch ein Treffer abbekommen haben, es verkroch sich und ist ein paar Wochen nicht mehr gesehen worden. Danach ist es von Zeit zu Zeit wiedergekommen, erzählte mir der Seminarleiter, sei hinkend um die Villa gestreunt, habe sich nicht verjagen und auch nicht einfangen lassen, bis es schließlich nur noch in den Vollmondnächten kam.« Hartlaub macht eine verlegene Geste. »Nun ja, das alles ist ja vierzig Jahre her, und solche Hunde werden vielleicht zwölf Jahre alt, vielleicht fünfzehn, bei einem Ausflug habe ich am nächsten Tag unweit der Kirche einen abgemagerten, hinkenden Hund gesehen, der sich deutlich von den anderen Dorfkötern unterschied, er hatte hochstehende spitze Ohren und eine hängende Rute … Ich habe später in einem Lexikon nachgeschlagen, und es ist gar kein Zweifel, dass der abgemagerte Hund in diesem Dorf am Tanganjika-See ein Malinois war, ein belgischer Schäferhund, wenn ich es recht weiß, heißen die Hunde so nach dem wallonischen Namen für die Stadt Mecheln…«
Die Tür zum Vortragssaal öffnet sich, Rübsam kommt heraus und fährt sich mit einem Taschentuch übers Gesicht.
»Die Geschichte von Herrn…«, Marielouise Hartlaub zögert, der Name ist ihr wieder entfallen, »also die Geschichte über diesen Hund hier hat mir besser gefallen.« Sie wirft einen prüfenden Blick auf Berndorf. »Es ist eine Geschichte mit einer Moral. Statt sich von Geisterhunden anjaulen zu lassen, sollte man die armen Tiere einfach an die Leine nehmen.«
»Sicher hast du Recht«, sagt Hartlaub eifrig. »Ich wollte auch niemanden übertrumpfen.« Wieder wendet er sich an Berndorf. »Sie müssen entschuldigen, aber bevor wir Sie getroffen haben, waren wir gerade in eine Diskussion vertieft. Es ging über einen geeigneten Ort für den kleinen Empfang, der mit meiner Amtseinführung leider, aber offenbar unausweichlich verbunden
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