Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
ruft Rübsam und geleitet die Gruppe zu einem Seiteneingang der Pauluskirche. Nass und atemlos findet sich Berndorf im beleuchteten Vorraum eines Vortragssaales wieder.
Er hält sich und den Hund abseits, etwas unsicher, ob er denn überhaupt eingeladen ist, hier Zuflucht zu suchen. Felix schüttelt sich den Regen aus dem Fell, an einem Tisch wird Kaffee ausgeschenkt, Rübsam muss mehrere Hände schütteln und wird einer auffallend großen schwarzhaarigen Frau vorgestellt. Berndorf hört zu, wie Rübsam sein unendliches Bedauern erklärt, nicht rechtzeitig zum heutigen Literarischen Colloquium erschienen zu sein, auch seine Besucher seien untröstlich, aber der Terminkalender! Mit der Stimme eines sehr kleinen Mädchens wendet die Schwarzhaarige ein, sie fürchte, ihre Erzählungen von Mord und Totschlag könnten in einer Kirche als unangemessen empfunden werden, doch Rübsam widerspricht. Schuld und Sühne! Ein zentrales Thema, nicht wahr …
»Sie waren bei dieser Geschichte dabei?« Hartlaub hat sich neben Berndorf geschoben, eine Tasse Kaffee in der Hand.
»Bei welcher Geschichte?«, fragt Berndorf zurück.
»Sie wissen doch – dieser Disput in der Universitätsklinik…« »Ach das! Eine Geschichte kann man das eigentlich nicht nennen«, meint Berndorf. »Offenbar kommt da jeden Samstag ein Posaunenchor in den Innenhof der Klinik und spielt, dass der liebe Gott zum Ohropax greift, aber weil das schon immer so ist, hat sich niemals jemand etwas dabei zu sagen getraut, bis Ihre Frau gekommen ist.«
Das war sehr wohl eine Geschichte, fällt ihm ein, immerhin hatte es einen Artikel im »Tagblatt« gegeben.
Nicht irgendeinen Artikel. Einen Artikel von Hollerbach. Plötzlich weiß er es so genau, als sähe er die Autorenzeile vor sich.
»… leider hat das für uns ein Nachspiel gegeben«, hört er Hartlaub sagen, »ein misstönendes, manche Menschen sind doch sehr empfindlich, nicht wahr, Marylou?«
»Das ist ja wohl ausgestanden«, sagt Marielouise Hartlaub, die in diesem Augenblick zu ihnen tritt. »Außerdem weiß ich noch immer nicht, wie dieser Hund in die Zeitung geraten ist. Irgendwie fühle ich mich solidarisch mit ihm. Hat er jemanden gebissen? Vielleicht einen der Würdenträger hier?«
Sie mag nicht Marylou genannt werden, geht es Berndorf durch den Kopf. »Ein Zwischenfall auf der Beerdigung. Felix hatte sich losgerissen und stand plötzlich auf dem Friedhof. Ich hab ihn dann mitgenommen.« Während er das sagt, betrachtet Marielouise den Hund und dann Berndorf, sie hat große, ruhige, blaugraue Augen, Berndorf wird verlegen.
»Der alte Herr ist also auch gestorben?«, fragt sie schließlich. »Ja«, antwortet Berndorf einfältig.
Die Türen zum Vortragssaal haben sich geschlossen, das Colloquium über den zeitgenössischen deutschen Kriminalroman wird fortgesetzt, offenbar muss Rübsam nun auch ein paar Worte sagen. Berndorf und das Ehepaar stehen um den Hund herum, der auch nur dasteht und wartet, den Kopf gesenkt. Draußen trommelt der Regen.
Das sei aber gerade eine schöne Geschichte gewesen, lobt Guntram Hartlaub, »sie erinnert mich« – er wendet sich an seine Frau – »an den Hund des Belgiers, ich hab es dir sicher schon einmal erzählt…«
Er habe sie sogar schon mehrmals erzählt, sagt Marielouise, aber Berndorf meint, Hundegeschichten höre er immer gern. »Es muss in den Achtzigerjahren gewesen sein«, holt Hartlaub aus, »wir hatten damals von der EKD aus Kontakte zu einigen lutherisch-reformierten Kirchen in Schwarzafrika zu knüpfen, also Kontakte ist vielleicht zu wenig gesagt, es waren und sind eher Patenschaften, die wir vermitteln wollten, und so besuchte ich ein vor kurzem eröffnetes Theologisches Seminar, irgendwo tief in Shaba, das ist diese Provinz im Kongo, die früher Katanga hieß … Das Seminar war in den Verwaltergebäuden einer aufgelassenen Mine eingerichtet, als Bibliothek und Hauptgebäude wurde die umgebaute Villa des Minendirektors genutzt, übrigens auch Jugendstil wie diese Kirche hier, ganz unverkennbar, und sehr elegant einstmals! An den Säulen draußen konnte man noch irgendwelche halbnackten Karyatiden erkennen, glücklicherweise stört das unsere Glaubensbrüder dort nicht weiter … Ich hatte ein sauberes kleines Appartement, war am Abend von der Reise und einem längeren Arbeitsessen völlig erschöpft, aber in der Nacht habe ich fast kein Auge zugetan, es war Vollmond, denn Stunde um Stunde hindurch heulten die Hunde, jedenfalls kam
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