Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
hat er auch auf dem Stuttgarter Wochenmarkt gepredigt, zwischen Krautständen und Remstäler Obst. Daher hatte er auch seinen Namen – wir nannten ihn alle nur den Propheten Jonas.«
»Es ist eine Bereicherung für eine Mordkommission, wenn ihr ein Prophet angehört«, meint Marielouise.
»Du bist der Mann!«, wirft Pascal ein, fast träumerisch.
Berndorf horcht auf.
»Nathan sagt das«, erklärt Marielouise. »Der Prophet Nathan, als er David den Mord an Uria nachweist.«
Berndorf nickt höflich und macht ein Gesicht, als sei ihm etwas in Erinnerung gerufen worden, von dem er immerhin schon einmal gehört hatte.
»David hat den Befehl gegeben, dass die eigenen Leute Uria im Stich lassen sollen«, sagt Pascal. »Und der Uria hat selbst den Befehl überbringen müssen. Und alles bloß wegen seiner Frau.« Pascal zuckt mit den Schultern.
»Zurück zu Ihrem Propheten«, sagt Marielouise. »Wann ist er in den Sturm geraten?«
»Kurz bevor wir uns kennen gelernt haben«, antwortet Berndorf. »Jonas hatte es fertig gebracht, gegen das gesunde Volksempfinden zu ermitteln. Es hat deshalb sogar eine Aktuelle Stunde im baden-württembergischen Landtag gegeben, einen parlamentarischen Sturm schwäbischer Rechtschaffenheit. Seiffert fand sich danach strafversetzt oder fortgelobt im gleichen Dezernat in Stuttgart wieder, in das dann auch ich geraten bin. Er mochte Stuttgart nicht. Aber er ist kein Querulant geworden, auch nicht nachlässig oder zynisch oder gleichgültig, was man alles hätte werden können, wenn einem so mitgespielt wurde wie ihm … Er hat weiter seine Arbeit gemacht, gewissenhaft, misstrauisch und doch auch wieder menschenfreundlich. Ich habe nie begriffen, wie das zusammengeht, aber bei ihm ging es …«
»Gerade Philanthropen müssen misstrauisch sein«, sagt Marielouise, »sie überleben sonst nicht. Aber wie ist es mit Ihnen – sind Sie auch zu den Menschen freundlich?«
Über wen reden wir eigentlich, meine Dame? »Sie müssen mich für sehr abweisend halten«, antwortet er und lächelt ein wenig schief. »Sie hätten diese Frage sonst nicht gestellt. Übrigens kann ich sie selbst nur sehr schlecht beantworten.«
»Wer ein Berufsleben lang Polizist war, dem muss Misstrauen zur zweiten Natur geworden sein«, meint Marielouise und deutet wieder einen Anflug ihres Lächelns an. »Sie zum Beispiel trauen sich selbst so wenig, dass Sie nicht einmal wissen, ob Sie ihren Freund auch so nennen dürfen. Und Ihr Freund war er. Sie hätten ihn sonst nicht so beschrieben.«
»Darf ich Felix das geben?«, fragt Pascal und deutet auf seinen Teller. Es folgt ein längerer Disput mit Marielouise, die nicht findet, dass irgendjemand ein Paar Wiener bestellen sollte, um dann nur der Form halber ein kleines Ende davon abzubeißen, aber Pascal hat leider überhaupt keinen Hunger mehr. Also soll Berndorf entscheiden, aber was zum Teufel hat er Felix Vorschriften zu machen?
Vorsichtig hält Pascal die Würste dem Hund hin, der irgendwie – und ohne dass es weiter aufgefallen wäre – schon eine ganze Weile neben dem Stuhl des Jungen sitzt. Der Hund schnüffelt kurz, dann packt er behutsam, aber entschlossen die Wiener mit der Schnauze und hat sie auch schon gefressen, ehe Berndorf auch nur einen Mucks machen kann.
Dafür muss Berndorf sich jetzt nicht weiter über sein möglicherweise beruflich, möglicherweise auch regional bedingtes Misstrauen explorieren lassen – Misanthropie als Grund- und Lebenshaltung in der Provinz! –, denn es ertönt eine angenehme tragende Stimme:
»Das ist ja eine richtige Tierfütterung, wie im Zoo, nur ohne Gitter!« Im seinem dunklen Mantel tritt Guntram Hartlaub an den Tisch heran und fährt seinem Sohn mit der Hand über den Kopf. Mit einem Mal sieht Pascal sehr klein und zerbrechlich aus.
Hartlaubs Augen sind auf Berndorf gerichtet. »Ich vermutete Sie dienstlich unterwegs«, sagt er und reicht Berndorf die Hand, der inzwischen aufgestanden ist. »Dienstlich bin ich überhaupt nicht mehr unterwegs«, antwortet dieser. »Ich bin im Ruhestand, irgendwie dachte ich, Ihr Kollege Rübsam hätte das gesagt, als er mich Ihnen gestern vorgestellt hat.«
»Das hat er auch«, wirft Marielouise Hartlaub ein.
»Entschuldigung«, sagt Hartlaub, »es sind im Augenblick etwas zu viel Informationen, der Speicher verarbeitet es nicht.« Er blickt sich um und erbittet von den Gästen am Nachbartisch einen freien Stuhl, den er sich heranzieht.
»Als ich das mit diesem
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