Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Beispiel im Wald. Und dort haben wir auch Fahrspuren gefunden. Aber es waren Spuren von einem Landrover. Nicht von einem Opel.«
Kriminalrat Englin lehnt sich zurück und stützt die Ellbogen auf und legt die Fingerspitzen der Hände gegeneinander. »Ich frage mich, Kollege Kuttler, ob Ihnen das alles auch eingefallen wäre, wenn die Kollegin Wegenast die Festnahme nicht vergeigt hätte … Apropos – was machen eigentlich Ihre Nachforschungen über diesen Artikel, mit dem Hollerbach in kirchlichen Kreisen angeeckt sein soll?«
»Angeeckt ist zu viel gesagt«, antwortet Kuttler ausweichend, »gestritten haben diese kirchlichen Kreise unter sich, den Hollerbach brauchten sie dazu gar nicht, der hat nur darüber geschrieben. Und Sie haben ja selbst gesagt…«
»Junger Kollege, ich weiß sehr genau, was ich gesagt habe«, unterbricht ihn Englin. »Laut und vernehmlich habe ich gesagt, dass das Täterprofil schlecht zu diesen Kreisen passt, dass Sie aber trotzdem und gerade darum nachprüfen werden, wie es zu diesem Artikel gekommen ist und ob es womöglich Drohungen gegen den Verfasser gegeben hat …«
Englin richtet den Zeigefinger auf Kuttler. »Gerade weil wir einen dringend Tatverdächtigen haben, das heißt, wir haben ihn ja nicht, sondern wir haben ihn laufen lassen, aber wenn wir ihn dann doch einmal haben werden, ohne dass …, aber das führt zu weit. Also, was ich sagen will: Falls es doch noch wahr wird und wir kriegen ihn und er ist es dann auch wirklich und es kommt zum Prozess, dann will ich nicht von so einem schmierigen Linksanwalt hören, wir seien keinen anderen Spuren nachgegangen, nur weil sie in kirchliche Kreise geführt hätten… Das will ich nicht hören und auch nicht in der Zeitung lesen, begreifen Sie das?«
Berndorf zieht die Tür hinter sich zu und schält sich aus seinem Trenchcoat. Die Wohnung ist warm, er geht in sein Wohnzimmer und schaltet die Stehlampe ein. Der Lichtkegel erfasst den Schachtisch und beleuchtet die Stellung vor dem 18. Zug von Paul Keres als Weißem in der Partie, die er 1948 in Den Haag gegen Botwinnik verloren hatte.
Vom Bücherregal her lächelt grünäugig und rätselhaft das Foto einer Frau. Aber heute ist Donnerstag, donnerstags ist Barbaras Hauptseminar, meistens geht sie danach mit den Studenten noch in eine Kneipe. Wie immer in diesen Wochen wird es um den Anschlag auf das World Trade Center gehen und um den Feldzug gegen den Terrorismus, an dem sich nun auch die Bundesrepublik beteiligen wird, in uneingeschränkter Solidarität, wie es heißt. Wie immer, wenn ihm zu viel Adjektive um die Ohren fliegen, wird Berndorf misstrauisch.
Innenwelt/ Außenwelt heißt das Thema des Seminars, das die Professorin Barbara Stein hält. Falls er richtig verstanden hat, geht es um die Unfähigkeit von Staaten, außenpolitische Sachverhalte anders wahrzunehmen als im Zerrspiegel innenpolitischer Interessen und Absprachen. Seit versucht wird, die Welt nach dem Muster von Texas neu zu gestalten, mutet ihn das gar nicht mehr akademisch an.
Er setzt sich und holt die Kopien aus dem Umschlag, wieder fällt ihm auf, dass sich der Hund unter den Schreibtisch gezwängt hat, merkwürdig, bisher lag er doch immer auf dem Fußabstreifer an der Tür.
Wintersingen war ein altes württembergisches Oberamt, abseits aller Handelsstraßen gelegen und im Lauf der Jahrhunderte ein einziges Mal aus dem Schatten der Ereignislosigkeit herausgetreten. Das war im Jahr 1481, als in Wintersingen ein Sukzessionsstreit zweier Linien des württembergischen Grafenhauses beigelegt wurde. Berndorf wäre dieses Ereignis kaum gegenwärtig gewesen, hätte nicht das »Tagblatt« in seinem Bericht über die Verabschiedung des letzten Wintersinger Landrats im März 1970 darauf verwiesen:
Aus seinem Amt scheide er nicht mit Bitterkeit, sagte Landrat Dr. Eberhard Autenrieth zu Beginn seiner Abschiedsrede. Denn er habe für einen der reizvollsten Landkreise unserer Heimat und seine bei aller herben Zurückhaltung doch überaus liebenswerten Menschen während langer und oft auch schwieriger Jahre tätig sein dürfen. Bitterkeit empfinde er aber sehr wohl, wenn er daran denke, wie Landesregierung und Landtag eine Stadt behandelt hätten, »mit deren Namen das historische Datum der Wintersinger Kapitulation verbunden ist, ohne welche das Werden des modernen württembergischen Staates gar nicht denkbar gewesen wäre …«
Das kann ich nicht zu Ende lesen, denkt Berndorf, und überfliegt die
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