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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Sporttasche über der Schulter, im kalten Schein der Treppenleuchten sieht ihr Gesicht blass, fast elend aus.
    »Entschuldigung«, sagt sie, als sie fast oben ist, »aber Ihr Telefon war belegt. Ich wollte fragen, ob Ihr Gästebett noch frei ist? Alle Hotels sind ausgebucht …«

Freitag, 9. November 2001
    »Für meine Schluckspechte wird’s früh genug spät«, sagt die Wirtin Wally Reinert und schließt die Eingangstür ab. Es ist zehn Uhr morgens, öffnen wird sie heute erst in einer Stunde. Schwerfällig geht sie an den Tisch zurück, über dem das Bild des springenden Mönchs und der nackten Frau hängt, und setzt sich breitbeinig, Tamar gegenüber. Die Wirtin hat noch immer diese Schatten um die Augen, von denen Tamar nicht weiß, ob sie von den späten Schnapsrunden mit den Stammgästen kommen oder von einem Kummer.
    Der Wirtshausgeruch nach verschüttetem Bier und nass ausgewischten Aschenbechern vermischt sich mit dem Aroma von Instantkaffee. Vermutlich hätte Kaffee aus der Maschine zu lange gedauert. Außerdem ist Tamar kein Gast, sondern eine berufstätige Frau wie die Wirtin auch. Da macht man keine großen Umstände.
    Vorsichtig nimmt Tamar einen Schluck. Der Kaffee ist heiß und tut ihrem Kopf gut. Die Wirtin bietet ihr eine Zigarette an, Tamar lehnt ab und entdeckt dabei, dass Wally Reinert sie über die Zigarettenschachtel hinweg prüfend mustert.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragt sie. »Soll ich ein Aspirin bringen?« Das hat noch gefehlt, denkt Tamar. Dabei fühlt sie sich wirklich nicht besonders. Berndorfs Gästebett ist zu weich und hängt durch, ganz abgesehen von all den anderen Dingen, die sie nicht haben schlafen lassen.
    »Danke«, sagt sie knapp. »Es geht schon…, ich wollte mit Ihnen über den Ärger reden, den Ihre Bedienung Carmen gehabt hat. Warum ist dieser Jiri Adler ausgerastet?« Die Wirtin zündet sich eine Zigarette an. »Der Fotograf ist schuld.«
    »Welcher Fotograf?«, fragt Tamar, als ob sie nicht genau auf diese Antwort gewartet hätte.
    Die Wirtin betrachtet sie erstaunt. »Das wissen Sie doch«, sagt sie dann. »Deswegen sind Sie doch da. Sie sind doch eine Naterer …, wie heißt es bei euch, eine von der Mordkommission, das stimmt doch? Also sind Sie wegen Eugen da.« Sie steht schwerfällig auf und geht zur Theke. »Trinken Sie einen Cognac mit?« Ungefragt füllt sie zwei Schwenker und bringt sie auf einem Tablett, die Zigarette im Mundwinkel.
    »Zum Wohl!«, sagt sie, als sie wieder sitzt, und nimmt einen Schluck. »Als Wirtin sollt’ ich keinen Schnaps nicht… Nicht am Morgen … Aber die Sache mit Eugen geht mir nach. Dabei war er ein Fätschnerspenk, nichts weiter.« Sie überlegt. »Hat sich hier reingeschmust…« Sie nimmt einen zweiten Schluck. »Hat herumgetan, was er alles in die Zeitung bringen wird. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber da war in Lauternbürg eine Schure, die ist schon vierzig Jahre her …« »Das Haus, das man abgebrochen hat«, sagt Tamar. »Ehe die Sinti einziehen konnten.«
    Die Wirtin sieht sie mit einem Blick an, als habe Tamar einen Ausdruck gebraucht, der ihr nicht zusteht. Schließlich nickt sie. »Meine Tante war dabei.«
    Wo dabei, überlegt Tamar.
    »Die Tante ist ein armes Ding gewesen, hat kaum laufen können …, sie war schon in der Gusch, hat’s herrichten sollen, als die Leut’ aus dem Dorf kamen und sie weggescheucht haben. Sie hat sich nicht zu helfen gewusst und ist zum Galach gehuckelt, das ist dort ein grillischer …«
    Sie unterbricht sich und blickt Tamar forschend an. »Sie wissen schon, was ich mein’?«
    »Doch, doch«, sagt Tamar. Irgendwie ist es ihr wichtig, dass die Wirtin am Reden bleibt.
    »Dass die Tante nicht recht hat laufen können, das war, weil so ist sie aus Birkenau zurückgekommen, Sie wissen schon, was da war?«
    Tamar sagt, dass sie es weiß.
    »Aber das war den schaunigen Leuten da schnurz«, fährt die Wirtin fort, »und auch der Galach hat sie weggescheucht.« Sie macht einen spitzen Mund und fährt in einem salbungsvollen Ton fort: »Wür haben nüchts müt oiren Wärken zu schaffen …«
    Tamar findet, dass sie nun zur Sache kommen sollten. »Der Herr Hollerbach wollte also über diese Geschichte etwas in die Zeitung bringen, und da hat er Ihre Tante befragt?«
    Die Wirtin lacht nur. »Der Herr Hollerbach! Geschmust hat er, bei mir und bei anderen auch. Die Tante ist schon lang tot, und von den anderen wollte keiner mit ihm reden. Aber ich hab ja alles gewusst. Und diese

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