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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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dem Besuch in München?«
    Hannah bleibt mitten im Zimmer stehen. »Ach so«, sagt sie unvermittelt. »Daher weht der Wind.« Sie nimmt einen Stuhl und dreht ihn in Richtung zu Tamar und setzt sich rittlings darauf. »Aber ich geb’s zu, ich war grad’ in Gedanken. Ich bin nämlich sehr glücklich mit meinem Besuch in München. Vanessa wird im neuen Jahr eine Ausstellung mit mir machen, sogar mit Katalog. Sie ist reizend um meine Sachen bemüht, und sie selber ist es auch, wenn sie lacht, hat sie so Grübchen in den Wangen, weißt du, ganz bezaubernd ist das…«
    Warum hör ich mir das an, denkt Tamar.
    »Aber ich verstehe, dass du das vielleicht nicht hören magst«, fährt Hannah fort. »Vielleicht haben wir unserer Beziehung zu viel zugemutet. Vielleicht auch zu viel Nähe.« Plötzlich verändert sich ihre Stimme, wird tief, als ob sie einen Alt nachmachen wollte. »Schatz, ich lauf noch ’ne Stunde in der Au. Denkst du an den Römertopf, Schatz. Schatz, wir haben noch einen Einsatz.« Ihre Stimme kehrt wieder in den Mezzosopran zurück. »Das ist mir zuletzt ein bisschen zu viel geworden. Deswegen habe ich eine Auszeit gebraucht. Diese Tage in München. Tage, ohne ständige Anwesenheitskontrolle, ohne ständige Anrufe, als wäre ich ein kleines Kind. Das kleine Kind der großen, berufstätigen, tüchtigen Mama…« Es reicht. Tamar nimmt die Füße vom Lehnstuhl und zieht ihre Schuhe an und steht auf. Irgendein Hotel wird noch ein Zimmer frei haben.
    »Nein, er liegt nicht mehr vor der Wohnungstür«, berichtet Berndorf. »Er hat sich unter meinen Schreibtisch gezwängt. Und jetzt schläft er.«
    »Wie du das erzählst, rührt es mich geradezu«, sagt Barbara. Sie hat heute den Kneipenbesuch ausfallen lassen und früher angerufen als sonst. Das hat weniger mit Berndorf zu tun als mit den Vorbereitungen für eine Tagung in Helsinki, wohin sie in der nächsten Woche fliegen wird. »Du hast so etwas Fürsorgliches bekommen, ich beginne mich zu fragen, wie du dich als Vater angestellt hättest …«
    Berndorf schüttelt den Kopf, obwohl oder weil sie ihn nicht sehen kann. Kinder sind ein Thema, das zwischen Barbara und Berndorf ausgespart blieb. Jedenfalls hat er nie davon gesprochen. Hätte sie es erwartet? Er weiß es nicht.
    »Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher«, fährt Barbara fort, »ob dieser Hund nicht vielleicht auch der Vorwand ist, dass du dich um diesen Fall kümmern kannst …«
    »Dazu brauch ich keinen Vorwand«, sagt Berndorf, fast schroff. »Als ich das letzte Mal bei Jonas war, sagte er, da sei noch eine Geschichte. Aber erzählen tut er nichts mehr, sondern stirbt ein paar Tage später, und auf seiner Beerdigung spricht mich dieser Mann an, fragt, was ich über jene alte Sache in Lauternbürg weiß – und wird noch in derselben Nacht umgebracht. Und da soll ich mich nicht fragen, welche Schrift er an der Wand gesehen hat?«
    »Du bist dir darüber im Klaren, dass es Tamars Fall ist?«
    »Jede halbe Stunde sag ich mir das«, antwortet Berndorf. »Aber Tamar hat genug mit der Leiche vom vergangenen Dienstag zu tun. Sie kann keiner Geschichte nachspüren, die vierzig Jahre zurückliegt. Nur ein Beispiel: Da hat die Evangelische Kirche – zufällig jetzt – einen neuen Dekan für den Bezirk Ulm berufen, und wiederum zufällig heißt der wie jener Pfarrer, der Seelsorger in Lauternbürg war, damals, als Jonas dort ermittelt hat. Kann Tamar jetzt zu dem neuen Dekan gehen und sagen, entschuldigen Sie, Euer Merkwürden, aber haben Sie diesen Zeitungsmenschen totgeschlagen?«
    »Da würde ich gerne zuhören, wenn du ihn das fragst«, meint Barbara. »Außerdem ist mir völlig schleierhaft, was die Wahl dieses Dekans mit dem Mord an deinem Journalisten zu tun haben soll.«
    »Eben«, sagt Berndorf. »Kein vernünftiger Mensch wird hier einen auch nur entfernt denkbaren Zusammenhang erkennen können. Nur ich – ich darf über einen Zufall stolpern, der mir seltsam erscheint. Ich hab die Zeit zum Stolpern, weißt du?« Die Wohnungsklingel schlägt an, und Felix rumpelt mit seinem dicken Kopf gegen die Seitenwand des Schreibtischs, als er darunter vorkriecht.
    »Besuch?«, fragt Barbara, und im Hörer schwingen ihre hochgezogenen Augenbrauen mit.
    »Keine Ahnung«, meint Berndorf und sagt, dass er gleich zurückruft.
    Er steht auf und geht zur Sprechanlage. »Wegenast«, sagt eine müde, angespannte Stimme. Er drückt auf den Türöffner und blickt ins Treppenhaus. Tamar kommt hoch, eine

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