Der Hund im Kuehlschrank
Einsatz.
Den Faden verlieren
Viele Menschen haben Angst, mitten im Vortrag, in einer Rede oder in einer Geschichte den Faden zu verlieren. Man fürchtet einen Blackout, keiner will stumm, mit rotem Kopf und heißen Ohren vor seinen Zuhörern stehen. Darum scheint es der sicherste Weg zu sein, sich alles Wort für Wort aufzuschreiben und vom Manuskript abzulesen. Ein Text, schwarz auf weiß, verspricht Halt und Orientierung.
Allerdings geht dabei auch viel Spielraum für Spontanes und Improvisiertes verloren. Das Überraschende und Lebendige und auch der Redner selbst mit seiner augenblicklichen Präsenz haben keinen Raum. Die inneren Bilder werden in den Hintergrund gedrängt, das geschriebene Wort übernimmt die Führung. Schnell wirkt dann das Gesprochene trocken und spröde. Eigentlich sollten wir froh sein, wenn uns einmal der Faden reißt! In diesem Augenblick öffnet sich nämlich eine Fülle an Möglichkeiten, um mit den Zuhörern in Kontakt zu kommen. Auf einmal entsteht Raum für Überraschendes, beispielsweise einen Zuruf aus dem Publikum, ein gemeinsames Gelächter, einen witzigen Kommentar, eine Anteil nehmende Bemerkung, eine längst fällige Pause, eine neue Idee . . .
Was wir beim lebendigen Sprechen brauchen, ist beides: Struktur und Spiel. Form und Freiheit. Nur wenn beides seinen Platz bekommt, hat eine Erzählung Hand und Fuß – und Herz. Dies ist der Kern einer natürlichen Erzählkultur: feste Formen, um uns anderen mitzuteilen – und Freiheiten, um in der Mitteilung lebendig und kreativ zu bleiben. Der berühmte rote Faden verbindet alles miteinander. Er umspielt die freien Elemente und fasst die strukturierten Teile zusammen. Und wenn der Faden mal reißt, dann macht oft gerade der Knoten, der ihn wieder zusammenknüpft, eine Erzählung individuell und einzigartig. Am Ende ist jede Geschichte, jedes Gespräch, jeder sprachliche Ausdruck – frei nach Goethe – »geprägte Form, die lebend sich entwickelt«.
Spielfähigkeit – »Ich fühle mich lebendig!«
»Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«
(Friedrich Schiller)
Spielfähigkeit – »Ich fühle mich lebendig!«
Strukturiertheit ist notwendig, doch bisweilen eine trockene Angelegenheit. Sie ist jedoch nur die eine Seite der Erzählkunst. Wenn ich möchte, dass Menschen mir gern zuhören, muss ich dem, was ich sage, nicht nur Ordnung, sondern auch Lebendigkeit und Kreativität verleihen. Die Wirklichkeit könne man durch den Haupteingang betreten, vergnüglicher sei es allerdings, durch ein Fenster hineinzuschlüpfen, schreibt Gianni Rodari.
Das Schlüsselwort hier ist: vergnüglich. Es ist ein Unterschied, ob man von etwas erzählt oder berichtet. Wer berichtet, liefert Informationen und Fakten. Wer erzählt, sprengt die Grenzen des Berichts und bringt sich persönlich ins Spiel. Die reine Sachlage wird mit Gedanken, Gefühlen, Ideen und kleinen Anekdoten gefüttert. Worte, Ereignisse und Figuren geraten in Bewegung, die reale Sache wird umspielt, und etwas Neues, Überraschendes darf entstehen. Wer erzählt, schlüpft durchs Fenster hinein.
Das innere Kind, der innere Clown
Erzählen darf Spaß machen! Es sollte für Erzähler wie Zuhörer gleichermaßen ein Vergnügen sein. Kinder leben es uns vor: Quatschgeschichten, Unsinnsreime, Slapstickszenen – all das bringt die Kleinen dazu, sich auf dem Boden zu kugeln und sich den Bauch zu halten vor Lachen. Lebendigkeit entsteht durch freies Spiel, durch den Blick des inneren Clowns auf das Geschehen. Der Clown schaut immer durchs Hintertürchen auf die Wirklichkeit, staunt, wundert sich, lacht, erschrickt, stolpert und
rappelt sich wieder auf. Der Clown macht wenig Worte, aber sein Gesicht und sein Körper sprechen Bände. Der Clown drückt Gefühle unmittelbar aus. Gerade deswegen ist er so liebenswert. Sieht man einem Clown zu, so denkt man nicht kritisch: Da übertreibt er jetzt aber! Das ist doch Blödsinn! Der erzählt mir doch Märchen! Warum bleibt er denn nicht bei der Wahrheit? Im Gegenteil: Man freut sich über den ungewohnten Blick auf Bekanntes und darüber, dass durch das Schlüsselloch der Hintertür vieles anders aussieht als beim Betreten durch das Hauptportal. Ich persönlich glaube, dass wir mehr Clownsqualitäten in unserer Kommunikation brauchen! Damit meine ich kein effektheischendes Witzerzählen oder schlagfertiges Kabarett, sondern einen im Grunde ernsthaften und zugleich staunenden Blick auf das Geschehen. [Ref
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