Der Hundeknochen
Fragen dieser Art auftauchten, war es am besten, den Beteiligten auf den Zahn zu fühlen. Die Gelegenheit war günstig. Ich konnte zur Pollex-Villa hinausfahren – die Vera jetzt allein bewohnte –, und mit etwas Glück traf ich einen Gärtner, eine Hausangestellte oder wen auch immer dort an.
Doch vorher mußte ich noch mal kurz nach Hause. Ich nahm die Stufen zu meiner Wohnung in hastigen Sätzen.
Ich schätzte, daß Vera noch eine Stunde im Sportzentrum blieb, die Zeit mußte ich nutzen.
Schon stand ich mit meiner Fotoausrüstung wieder an der Bürotür, da stach mir das rot blinkende Lämpchen des Anrufbeantworters ins Auge. Ich drückte die Wiedergabetaste und hörte zunächst Judiths Stimme: Ich solle zurückrufen. Klar, würde ich machen, später.
Unser letztes Beisammensein fiel mir ein. Wir spazierten durch den Heidberger Wald, ein Wasserschutzgebiet im Duisburger Süden. Es gab dort eine romantische Stelle mit Kiefern und Ginster und feinem, weißem Sand, wo das Geräusch der nahen Autobahn mit etwas Phantasie wie Wellenrauschen klang. Ich hatte meinen Arm um Judiths Schulter gelegt und sie an mich gezogen.
»Du, Elmar, mir ist nicht danach.«
»Mir ist sehr danach.«
»Du möchtest gern?«
»Jaah.«
»Auch, wenn mir nicht danach ist?«
»Es würde mich nicht allzu sehr stören, ehrlich gesagt.«
»Egoist!«
»Und wenn schon.«
»Du gibst also zu, daß es nur um die Befriedigung deiner Lust ginge.«
»Nicht nur.«
»Dann müßte es dich stören, wenn mir nicht danach ist.«
»Tut’s ja.«
»Trotzdem möchtest du?«
»Nein, jetzt nicht mehr.«
»Bist du sauer?«
»Nein.«
»Doch!«
»Nein!«
Und ob ich sauer war! Da hatte ich geglaubt, Judith als selbstbewußtes Mädchen würde auf dieses Geplänkel verzichten, und nun stellte sich heraus, daß sie darunter litt, sich mir angeboten zu haben, und zwar, diese Logik machte mich ganz irre, nicht prinzipiell, sondern deshalb, weil sie sich in mich verliebt hatte. Sonst nämlich hätte sie mit mir ohne Umstände, ohne die geringsten Gewissensbisse und mit dem allergrößten Vergnügen schon am ersten Abend geschlafen.
Liebe! Und jetzt sollte ich zurückrufen, später!
Der zweite Anrufer war Wegener von der Versicherungsgesellschaft; auch er erwartete einen Rückruf. Das hatte ebenfalls Zeit.
Und dann hörte ich Kurt Heisterkamps Stimme vom Band: »Sieh mal einer an, unser technikfeindlicher Ermittler hat aufgerüstet, ein Automat, na prima. Jetzt ist es zehn nach vier, um fünf könnte ich, falls du nicht absagst, bei dir sein. Bis dann!«
Ich schaute auf die Uhr: fünf Minuten vor fünf. Natürlich konnte ich Kurts Ankündigung einfach beiseite schieben und mich auf den Weg machen. Andererseits interessierte mich, was er mir zu sagen hatte. Also warten. Jetzt wußte ich auch, warum ich mich so lange gegen diesen ach so praktischen Anrufbeantworter gewehrt hatte. Statt mir Unabhängigkeit zu schenken, stahl mir das Ding die Zeit und brachte neue Verpflichtungen.
Um die Wartezeit zu nutzen, rief ich Wegener an.
»Wir machen hier pünktlich Feierabend«, knurrte er.
»Dann bis morgen.«
»Ach, Sie sind es. Also, der Vorstand ist mit Ihrer Forderung ausnahmsweise einverstanden, wenn – Moment, jubeln Sie nicht zu früh! –, wenn es sich um eine Privatperson handelt. Läuft die Versicherung jedoch auf eine Firma, nimmt der Vorstand von Ihrem Angebot Abstand.«
»Warum das denn, zum Teufel?«
»Weil wir den Firmen meist ein ganzes Versicherungspaket verkaufen, Gebäude und Gerät gegen Brand und Wasser, den Fuhrpark, die Haftpflichtversicherung der Arbeiter; meist hängen sich die Angestellten dann an und lassen ihre Privatwagen ebenfalls bei uns versichern oder schließen eine Lebensversicherung ab. All diese schönen Abschlüsse wären gefährdet, wenn es zu einem Betrugsverfahren käme. Selbst das Einsparen einer Million, wie von Ihnen angedeutet, würde sich nicht rechnen, wenn wir dadurch einen großen Kunden verlören.«
»Na, schön, das alte Muster: niemals gegen Dicke anstinken. Dem Ladendieb ein Bein stellen, aber den betrügerischen Großkaufmann laufenlassen. Hätte ich mir doch denken können.«
»Nun schnappen Sie mal nicht gleich ein. Es gibt noch eine Möglichkeit.«
»Ach ja?«
»Sie könnten mir einen Tip geben, so von Mann zu Mann, dann liefe die Sache intern. Ich könnte der Firma einen Wink geben, daß sie auf die Auszahlung verzichtet, ansonsten bliebe alles beim alten. Die Gesellschaft spart eine Million,
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