Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
Karlsson.«
Song Meiling ergriff die dargebotene Hand nicht, sondern zeigte auf einen Sessel.
»Setzen!«, sagte sie.
Allan hatte sich im Laufe der Jahre ja allerhand nennen lassen müssen, von verrückt bis Faschist, aber ein Hund war er ganz sicher nicht. Er überlegte, ob er den unpassenden Ton der Dame beanstanden sollte, ließ es dann aber, denn ihn interessierte, was da nachkommen würde. Außerdem sah der Sessel ja ganz bequem aus.
Kaum dass Allan sich gesetzt hatte, hob Song Meiling zum Schlimmsten an, was er sich vorstellen konnte, nämlich zu einem politischen Vortrag. Sie bezeichnete Präsident Roosevelt als Urheber des gesamten Einsatzes, was Allan freilich seltsam fand, denn wie sollte man aus dem Jenseits militärische Operationen leiten? Song Meiling ließ sich darüber aus, wie wichtig es war, die Kommunisten aufzuhalten, diese Witzfigur von Mao Tse-tung daran zu hindern, ihr politisches Gift in jeder Provinz zu verspritzen, und – komisch eigentlich, fand Allan – dass Chiang Kai-shek von alledem nichts begriff.
»Wie sieht es bei Ihnen beiden eigentlich mit der Liebe aus?«, wollte Allan wissen.
Song Meiling gab zurück, das gehe einen dummen kleinen Befehlsempfänger wie ihn überhaupt nichts an. Präsident Roosevelt habe ihr Karlsson in dieser Operation direkt unterstellt, und fernerhin solle er nur noch reden, wenn er angesprochen wurde, und ansonsten den Mund halten.
Allan wurde grundsätzlich nie wütend, diese Fähigkeit schien ihm völlig abzugehen, aber jetzt konnte er nicht umhin, der Dame zu antworten:
»Nach allem, was ich zuletzt von Roosevelt gehört habe, ist er tot. Sollte sich daran irgendetwas geändert haben, hätte es sicher in der Zeitung gestanden. Ich für meinen Teil mache bei dieser Sache mit, weil Präsident Truman mich darum gebeten hat. Aber wenn die gnädige Frau weiterhin so grob daherredet, glaube ich fast, dass ich drauf pfeife. China kann ich ein andermal besuchen, und Brücken habe ich schon so viele in die Luft gesprengt, dass es für ein Leben reicht.«
Widerspruch hatte Song Meiling nicht mehr erlebt, seit ihre Mutter versucht hatte, ihre Eheschließung mit einem Buddhisten zu verhindern, und das lag jetzt schon einige Jahre zurück. Außerdem hatte die Mutter später Abbitte leisten müssen, weil dieses Heiratsarrangement der Tochter den Weg bis ganz an die Spitze geebnet hatte.
Jetzt musste Song Meiling nachdenken. Offensichtlich hatte sie die Situation falsch eingeschätzt. Bis jetzt hatten die Amerikaner jedes Mal angefangen zu zittern, wenn sie mit ihrer persönlichen Freundschaft zu Herrn und Frau Präsident Roosevelt prahlte. Aber wie sollte man mit diesem seltsamen Menschen hier umgehen, wenn nicht wie mit allen anderen? Was für einen Stümper hatte Truman ihr da geschickt?
Song Meiling gehörte zwar nicht zu den Menschen, die sich notfalls mit jedem verbrüdern würden, aber ihre Zielstrebigkeit war stärker als ihre Prinzipien. Daher wechselte sie rasch die Taktik.
»Wir haben ganz vergessen, uns richtig zu begrüßen«, sagte sie und streckte ihm nach Art des Westens die Hand hin. »Aber besser spät als nie!«
Allan war nicht nachtragend. Er ergriff ihre ausgestreckte Hand und lächelte nachsichtig, auch wenn er sich nicht der Meinung anschließen konnte, dass man manches besser spät als nie tun sollte. Sein Vater zum Beispiel hatte seine Liebe zu Zar Nikolaj ausgerechnet am Vorabend der Russischen Revolution entdeckt.
* * * *
Schon zwei Tage später flog Allan mit Song Meiling und zwanzig ihrer persönlichen Leibwächter nach Los Alamos. Dort wartete das Schiff, das sie mitsamt einer Ladung Dynamit nach Schanghai bringen sollte.
Allan wusste, dass er Song Meiling schlecht während der gesamten langen Fahrt über den Stillen Ozean aus dem Weg gehen konnte. Dazu war das Schiff nicht groß genug. Deswegen beschloss er, es gar nicht erst zu versuchen, und nahm das Angebot eines allabendlichen festen Platzes am Kapitänstisch an. Der Vorteil war das gute Essen, der Nachteil die Tatsache, dass Allan und der Kapitän in Gesellschaft von Song Meiling essen mussten, die unfähig schien, über irgendetwas anderes als Politik zu reden.
Ehrlich gesagt gab es noch einen weiteren Nachteil, denn statt Schnaps wurde ein grünlicher Bananenlikör serviert. Allan trank, was man ihm hinstellte, und dachte dabei, dass er zum ersten Mal etwas trank, was ein Mensch eigentlich gar nicht trinken konnte. Alkoholische Getränke sollten doch am besten so
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