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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Tatverdächtigen. Wenn nicht irgendwann ein Wunder geschah, würde dieser Mord ungesühnt bleiben. Aber was auch sollte die Polizei tun? Der Hausdiener hatte Ludwig in dessen Schlafzimmer bäuchlings auf dem Boden gefunden. Er war mit einem Seidenmantel bekleidet gewesen und hatte zerschnittene Handinnenseiten, weil er offensichtlich an der Klinge der Mordwaffe gezogen hatte. Das Stilett stammte aus seinem Besitz und war, so der Hausdiener, eine Art Spielzeug, mit dem der Baron sich die Fingernägel zu säubern pflegte. Es gab keinerlei Spuren eines Kampfes, wenn man davon absah, dass das Haar des Barons zerwühlt gewesen war.
    Ich entsann mich, dass Albert Joffe mir beim Comte verraten hatte, Baron Ludwigs Hausdiener habe an seinem Herren Marie-Thérèses Parfum gerochen – aber das, so der Polizeikommissar, sei am wenigsten verwunderlich, weil er davon ausgehe, dass Ludwig ein Liebesverhältnis zur Künstlerin unterhalten habe.
    »Denn wenn wir den Zustand seines Gliedes heranziehen, scheint der Herr Baron zum Zeitpunkt des Mordes von Frühlingsgefühlen bewegt gewesen zu sein.«
    Polizeikommissar Joffes Vermutung hatte mich so eifersüchtig gemacht, dass ich sie sofort verdrängte. Dabei hatte er nichts darüber gesagt, ob Ludwig und Marie-Thérèse auch intim miteinander gewesen waren. Aber aus eben diesem Grund, der Angst, dass es vielleicht doch so gewesen sein könnte, hatte ich kein besonderes Interesse gezeigt, als er mich nach Hélènes Hypnose fragte, ob ich mir vorstellen könne, meine suggestive Gabe in den Dienst der Ermittlungen zu stellen.
    Doch wie sollte das funktionieren? Wen hätte ich hypnotisieren sollen? Allenfalls beim Hausdiener, der inzwischen längst für andere Herrschaften arbeitete, würde es einen Sinn haben. Vielleicht würde er sich in Trance an Geräusche und Stimmen erinnern, die er während des Schlafes wahrgenommen hatte. Sicher, auch Marie-Thérèse hätte man auf diese Weise noch einmal befragen können, sie aber zu hypnotisieren: Das musste erst einmal gelingen!
    Eine im Wind schwankende und quietschende Laterne lenkte mich ab. Längst war ich wieder in der Stadt, schritt über die großen runden Pflastersteine der Rue de Rivoli. Die Luft über dem Tuilerien-Schloss gehörte einem Schwarm Krähen. Ihr scharfes Krächzen war unangenehm. Ein kleiner Junge zielte mit einem Stock auf die Vögel und spielte Jäger, eine Stimme in meinem Rücken rief: Krähen im Speckmantel gebraten, seien eine Delikatesse. Ich schaute um mich. Wer gerufen hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Die Rue de Rivoli war zu belebt. Aber was interessierte mich dies überhaupt! Krähen im Speckmantel. Krähen. Krähenfresser! Ich schaute in einzelne Gesichter und setzte meinen Weg fort. Wer auf der Rue de Rivoli aß schon Krähen! Das taten nur diejenigen, die kein Geld für Rebhuhn oder Fasan hatten. Wer Krähen aß, galt als gottlos, denn Krähen und Raben waren die Vögel, in die sich der Teufel verwandelte, um den am Galgen baumelnden Sündern die Augen aus dem Schädel zu picken. Wer Krähen verzehre, hieß es auf dem Land, fordere den Wahnsinn heraus. Aber ein Fasan oder ein Rebhuhn, im Speckmantel gegart … Ich verlor mich in Rezeptphantasien, und das Wasser lief mir im Munde zusammen. Was könnte ich jetzt essen? Worauf hatte ich Appetit? Vielleicht ein Kalbsschenkel mit Strasbourger Speck? Ein Rehschlegel? Ein Kapaun mit Morcheln? Oder ein halbes Dutzend getrüffelte Wachtelbrüstchen auf gerösteten Weißbrotscheiben mit Basilikum … Davor ein Rheinkarpfen! Oder doch besser ein Steinbutt? Vielleicht Hecht in Krebssauce?
    Ich sah zu, dass ich ein Restaurant fand, speiste wie ein König und trank wie ein Fürst. Entsprechend gelaunt machte ich mich am späten Nachmittag auf den Weg in die Conciergerie, um Albert Joffe zu fragen, wie ernst er sein Angebot eigentlich gemeint habe. Polizeikommissar Joffe aber, erfuhr ich, sei gerade in die Rue de Vaugirard, zu Baron Philippe, aufgebrochen. Es gebe Neuigkeiten im Mordfall Ludwig Oberkirch.
    Ich käme wie gerufen, empfing mich Philippe in Hochstimmung, was ich bestens nachvollziehen konnte. Marie-Thérèse nämlich war nicht nur zugegen, sondern hatte sich offensichtlich bei ihm einquartiert: Der Érard-Flügel, der einst in Ludwigs Salon stand, hatte einen neuen Platz in Philippes Bildersalon gefunden. Auf seinem Notenpult sprangen mir die ins Riesenhafte gezeichneten Notenköpfe und Bindebögen, Pausen und Notenschlüssel und Vortragszeichen

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