Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
eines aufgeschlagenen Folianten ins Auge. Als habe sie die Hand eines eigenwilligen Künstlers als Ausdruck seiner egozentrischen Dominanz geschaffen, waren sie es, die in ihrer kühlen Schwärze den Bildersalon beherrschten. Hatte die Liebe gesiegt? War ich verraten worden? Oder fiel ich einem Trugschluß zum Opfer?
»Noten von Beethoven, Stoff englisch und von Mahony«, sagte Philippe und wies übermütig auf die gemütliche Sitzgruppe, auf der Albert Joffe und Abbé de Villers saßen, Cookies aßen und dabei Kaffee, Schokolade und Tee tranken. »Marie-Thérèse eroberte die Londoner genau wie die Pariser. Sehr aufmerksam, dass auch du gekommen bist, ihr hier zu huldigen. Damit ist die Familie ihrer größten Bewunderer komplett.«
So offenherzig sich Philippe auch gab, so spürte ich doch seinen abschätzigen, eifersüchtigen Blick in meinem Rücken, als ich Marie-Thérèse die Hand küsste. War er sich also seiner Liebe nicht sicher? Von diesem Gedanken ermutigt, neigte ich mich ihr länger zu als gewöhnlich. Angestrengt sah sie aus, ja, sie wirkte geradezu ausgezehrt. In ihren großen Augen lag Müdigkeit, und mir fiel auf, dass ihre Aura kraftlos, beinahe abgestumpft wirkte.
»Danke für deinen Brief«, sagte sie.
»Er war das mindeste, was mir zu tun oblag«, antwortete ich leise, wenn auch ein wenig gestelzt. Dann wandte ich mich dem Abbé zu, der nicht minder angestrengt aussah wie sie: Altersflecken besprenkelten seinen kahlen Schädel, als hätte ihn Asche bestäubt. Sein Henkersgesicht, in dem seine rotumrandeten Augen brannten, war grau und bis auf ein seltsames Zucken seiner dünnen Lippen fast versteinert.
»Ich sehe ein Lächeln um Ihren Mund spielen, Abbé de Villers?«, fragte ich vorsichtig. »Ich hoffe, es gilt mir. Doch um es kurz zu machen: Ich sehe meine Verblendung ein und bereue sie. Was ich versuchte, Ihnen zu tun, ist unentschuldbar. Mehr Worte stehen mir jetzt nicht zu.«
Er nickte, schien meine Entschuldigung anzunehmen. Ohne ein Wort zu sagen, musterte er mich. Als Philippe seine Hand auf die Marie-Thérèses legte und sie die seine festhielt, wurden seine Augen jedoch stechend, und sein Mund wurde noch schmaler. Es sah aus, als würde er gewaltsam Worte zurückhalten, die diese Zweisamkeit auf der Stelle zerstört hätten. Fürchtete er das Gleiche wie ich: Waren Marie-Thérèse und Philippe etwa ein Verhältnis eingegangen? Sicher war nur, dass ich machtlos gegen meine Eifersucht, meine Angst war. Zum Glück ergriff Polizeikommissar Joffe das Wort. Übrigens gebe es Neuigkeiten im Mordfall Baron Ludwig Oberkirch, sagte er beiläufig. Das sei der eigentliche Grund, weshalb er hier sitze.
»Zum einen betrifft es Baron Ludwigs Wohnung, zum anderen etwas anderes, was ich freilich lieber unter vier Augen loswerden möchte. Nun denn, erst jetzt wurden im Schlafzimmer Baron Ludwigs an einer Scheibe Spuren entdeckt: Ritzspuren, die wohl von einem Diamanten stammen. Unförmige Buchstaben möglicherweise Wortfragmente. Was wir entziffern konnten: Uj … tu moub… mt.«
Albert Joffe schaute aufmerksam in die Runde, wobei er auf eigentümliche Art seine dicken Finger knetete. Während Abbé de Villers nur verächtlich zur Seite schielte und Philippe die Stirn runzelte, wirkte Marie-Thérèse betroffen: Die Augen weit aufgerissen, ging ihr Atem plötzlich stoßweise, und ihre Hand verkrampfte sich so heftig, dass Philipp sie beruhigend um die Hüfte Fasste und an sich zog. Ich verging vor Eifersucht. Doch noch schlimmer wurde es für mich, als ich mitansehen musste, dass sie ihren Kopf an Philipps Schulter lehnte und ihm dabei so nah kam, dass er seine Hand inmitten ihres Schoßes zur Ruhe betten konnte. Jetzt hast du verloren, las ich in seinem Blick, und als Marie-Thérèse erschöpft und erleichtert die Augen schloss und sich entspannte, glaubte ich es selbst.
Wolltest du nicht lieber ein Ende mit Schrecken als umgekehrt? fragte ich mich aufgewühlt. Da, jetzt hast du es! Und als ob das Schicksal mich zusätzlich quälen wollte, entsann ich mich wieder jener seltsamen Art von Vision, wie ich sie am Schluß unserer ersten Begegnung erlebt hatte: eine entfesselte Marie-Thérèse, die sich mir willig und voller Lust hingab und deren Leib ich längst zu kennen mir eingebildet hatte. Im Moment allerdings hatte dieses Geschöpf nicht das geringste mit demjenigen aus meiner Vision gemein. Marie-Thérèse` Sinnlichkeit wirkte wie eingeäschert, und ihre Schönheit war die einer vertrocknenden
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