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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Rose. Mehr noch, ihre Aura als Künstlerin hatte sich verflüchtigt.
    Aber es half nichts. Noch immer hafteten die Erlebnisse der „alten“ und damit „meiner“ Marie-Thérèse in meiner Seele: Ich konnte ihre nackte und hilflose Schönheit genauso wenig vergessen wie ihre Küsse. Eifersucht, Mitleid, Liebe – meine Gefühle gingen durcheinander, und ich glaubte, jeden Augenblick zu bersten.
    Abbé de Villers indes erklärte, die Buchstaben seien höchstwahrscheinlich mit Marie-Thérèses Diamantring in die Scheibe geritzt worden, jenem Ring, den sie mit großer Sicherheit bei Baron Ludwig verloren habe. Bis heute habe sich das wenig kostbare Schmuckstück nicht wieder angefunden. Und was das andere betreffe, jene Angelegenheit, die der Herr Polizeikommissar lieber unter vier Augen besprochen hätte, so habe er folgendes dazu zu sagen: »Dieser casus betrifft meine Person und meine Lüge, am Abend des Mordes noch in London gewesen zu sein.« Der Abbé wandte sich Marie-Thérèse zu und schaute sie geradewegs an. »In Wahrheit war ich längst wieder in Paris. Ich beschloss, mich und meine väterliche Sorgnis auf die Probe zu stellen, und spionierte dir ein wenig hinterher, mein Kind. Meine Strafe dafür ist, dass ich miterleben musste und nun wieder muss, wie du dich zunehmend im Netz derer von Oberkirch verstrickst.«
    »Abbé de Villers! Wären Sie nicht alt und Marie-Thérèse` Förderer … ich hätte Sie bereits geohrfeigt!« rief Philippe entrüstet.
    »Nur zu, ich bin Gewalt gewöhnt«, erwiderte der Abbé spöttisch. »Aber da du bei mir noch etwas gut hast, Philippe, werde ich in diesem Fall ganz besonders großmütig sein.«
    Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hatte sich Abbé de Villers gegen die Oberkirch-Zwillinge ausgesprochen. Mein Herz machte einen Satz, die Fronten hatten sich verkehrt. Der Beleidigung folgte die Demütigung auf dem Fuß, denn schließlich war es Philippe, dem der Abbé sein Leben verdankte. Ich schöpfte neue Hoffnung und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass Abbé und Baron sich so heillos zerstritten, dass Marie-Thérèse gegen beide würde Partei nehmen müssen. Für mich, hoffte ich, wäre der Weg dann wieder geebnet, denn wenn zwei sich streiten …
    Leider freute ich mich zu früh.
    Doch wenigstens hatte sich Philippe von Marie-Thérèse gelöst. Mit ausladenden Schritten durchmaß er seinen Salon, um Albert Joffe aufzuklären, wie wenig dem Abbé in Wahrheit an der Gesundheit seiner sogenannten Nichte liege: In London habe er sie zu einem Pfuscher von Augenarzt geschleppt, nur um sich dort in eitler Freude an dessen trüben Worten zu berauschen, die besagten: Marie-Thérèse könne nicht geholfen werden, weil sie keine eindeutig zu diagnostizierenden Augenerkrankungen aufweise. Philippe redete sich in Rage und kramte eine alte Geschichte hervor, die illustrieren sollte, welch bizarre Blüten Egoismus und falsche Fürsorge sogenannter liebender Väter oder Onkel zuweilen zeitigten.
    »Auch Petrus wird Ihnen die Geschichte bestätigen, Monsieur Joffe. Sie trug sich zu, als eben dieser Abbé unser Gut verließ: Einer unserer Weinbauern, ein Witwer, hatte eine gar nicht häßliche Tochter – wenn man davon absah, dass ihr Gesicht von Ekzemen verunstaltet war. Zum Arzt aber wollte er sie nicht lassen, und es sollte auch keiner ins Haus kommen. Bis unser Verwalter, der dicke Albert, es nicht mehr mitansehen konnte. Auf seine Kosten schickte er nach einem Arzt. Zu fünft machten wir uns auf den Weg. Aber was tat dieser gräßliche Vater-Mensch? Kaum sah er uns kommen, ließ er den Hund von der Leine! Zum Glück für uns, dass wir unseren dicken Albert dabei hatten. Der trat in der genau richtigen Sekunde nach dem Viech, und sein Tritt reichte. Doch was ich damit sagen will: Dieser Hundsfott von Vater wollte gar nicht, dass seiner Tochter geholfen wird! Er liebte sie mit Ekzemen, denn da konnte er gewiß sein, sie für sich allein zu besitzen. Eine hübsche, reine Tochter wäre ihm weggeheiratet worden und er wäre nicht mehr auf seine ganz speziellen absonderlichen Kosten gekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Womit ich nur sagen will, Monsieur Joffe: Dieser Abbé ist ähnlich. Er will Marie-Thérèse für sich! Er spioniert ihr hinterher und möchte, dass sie ihre Augenschwäche tunlichst behält. Darum darf auch Petrus ihr nicht zu nahe kommen. Weil Abbé de Villers fürchtet, er könne bei meinem Engel ähnlichen Erfolg haben, wie einst bei La Belle Fontanon.

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