Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
der protokollierende Polizist sehr nachdenklich mustern.“ Die Szene verfehlte ihre Wirkung nicht: Jeanne ließ sich aus naheliegenden Gründen einschüchtern, in dessen Folge Monsieur Ferdinand mir den Mantel auszog, mich mit Hilfe des Kutschers in die Droschke wuchtete und wir bis vor Jeannes Wohnung fuhren. Die Concierge dort besaß eine Trage, und so kam es, dass ich zehn Minuten später bei Jeanne auf der Chaiselongue lag:
Man schickte nach einem Arzt. Da ich stabil atmete, wusch er nur meine Wunden und verband mir den Kopf. Nachdem er und die Concierge gegangen waren, leistete in den nächsten Stunden ein friedlich atmender, aber ohnmächtiger Mann Jeanne Gesellschaft. Ich bilde mir ein, mich daran erinnern zu können, dass mich irgendwann, nach langem Schlaf etwas Lauwarmes netzte. Wie ich später erfuhr, hatte Jeanne um ein Uhr in der Nacht beschlossen, mich zu waschen, und zwar von Kopf bis Fuß. Sie zerrte mich von der Chaiselongue, entkleidete mich vollständig, seifte mich mit einem Ziegenhandschuh ein, wobei sie keine Hautstelle ungeschrubbt ließ, und beförderte mich dann mit der Concierge von der Chaiselongue in ihr Bett.
Darin lag ich die nächsten beiden Wochen. Aber dies musste ich mir gewissermaßen verdienen. Denn Jeanne verlangte, dass ich mich jeden Tag aufs neue schrubben ließ. Sie arbeitete ohne Emotionen, geschäftig, konzentriert, mit Bewegungen, die fahrig und zugleich sicher wirkten. Nie sprach sie ein Wort, doch wenn sie fertig war, lächelte sie wie ein Putto, der sich darüber freut, der Heiligen Mutter bei der Säuglingspflege zuzuschauen.
Bald war ich wieder soweit hergestellt, dass ich mich bemüßigt fühlte, der Welt ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Ich schrieb Philippe und Marie-Thérèse, Polizeikommissar Albert Joffe, Madame Bonet und meiner Concierge.
Eines Morgens betrat Madame Berchod das Zimmer. An ihrem veränderten Aussehen las ich ab, dass viele Tage vergangen sein mussten, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie war abgemagert, kalkweiß im Gesicht, ihre Mundwinkel gerötet, ihre Lippen entzündet. Ihr Husten war kurz und hart, und während sie einen Korb Frühlingsblumen an das Kopfende des Bettes stellte, sagte sie ironisch: „Hüpfen Eichhörnchen und Finken, siehst du schon den Frühling winken.“ Sie spuckte in ihr Taschentuch und begann, mich wortreich zu bemitleiden, so als wäre ich dem Tode geweiht und nicht sie. Die Schwindsucht hatte sich ihrer mit einem neuerlichen gewaltigen Schub bemächtigt und machte mir klar, dass es für sie keine Hoffnung mehr gab. Ich fand kaum Worte, bis auf die, ihr zu versprechen, in einer Woche wieder in meiner Wohnung zu sein. Im übrigen duldete Jeanne sie nicht mehr länger bei mir. Sie stand mit einem vors Gesicht gepreßten Kampfertaschentuch im Türrahmen und grämte sich offensichtlich über Madame Berchods Anwesenheit. Sie verdrehte den Kopf, rollte mit den Augen und mimte alles Entsetzen, dessen sie fähig war. Denn natürlich sah sie in meiner guten Concierge nur eine Seuchenträgerin, und als es ihr zuviel wurde, kreischte sie Madame Berchod in den Rücken, sie sei wohl nicht ganz bei Troste, auf mich einzureden wie eine Waschfrau:
»Begreifen Sie denn nicht? Monsieur ist verwundet!«
»Deshalb wollte ich ihn ja noch einmal sehen.«
»Madame Berchod!«, rief ich. »Ich bitte Sie! Ich halte mein Versprechen und dann gehen wir beide zusammen essen.«
Sie bekam Tränen in die Augen, hustete und ging auf die Tür zu. Jeanne machte sich steif und gab den Türrahmen frei. „Gehen Sie“, sagte sie voller Abscheu. „Nun gehen Sie endlich!“
Meine gute Concierge heulte auf und verließ kopfschüttelnd das Zimmer.
»Ich werde jetzt alles putzen.«
»Nein, Jeanne. Sie werden mir jetzt bitte erzählen, warum Sie solche Angst vor Schmutz haben. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Auch wenn ich Ihnen glaubte, Monsieur: Ich würde die Gründe nicht kennen wollen. Ich verkaufe mich – und putze. Beides paßt sehr gut zusammen. Wenn ich putze, vergesse ich das gefallene Mädchen in mir, und das ist gut. Denn ich will mir eine gute Rente kaufen. Bald ist es soweit. Verstehen Sie?«
Die Gelegenheit war günstig. Es war das erste Mal seit zwei Wochen, dass mir nicht mehr übel war und ich auch keine Kopfschmerzen mehr hatte. Jeanne saß auf dem Sessel mit meinem Morgenrock. Ich setzte mich auf und streckte meine Beine aus dem Bett. Ohne mich um meine Nacktheit zu scheren, schaute ich Jeanne an. Ein
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