Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Seidenbettwäsche, täglich abgeschrubbt von einer Kindfrau, die so selbstvergessen ihre Neurose pflegte, dass sie nicht einmal merkte, wie ich dabei einmal einen Höhepunkt bekam, waren wohl kaum andere Gedanken möglich.
Zurück zu Philippes Brief: Je länger ich über ihn nachdachte, um so beunruhigender schien er mir. Der Psychiater in mir wurde wach, und schließlich kam ich zur Überzeugung, mit dem Brief eine Art Lunte in der Hand zu halten, die bereits brannte. Das PulverFass, in das sie mündete, verbarg sich hinter dem Satz: „Böse zu sein, bedeutet nicht, jemanden umzubringen. Sonst wären alle Fleischfresser böse. Aber dort, wo Macht durch Töten ausgeschlossen wird, ist Umbringen erlaubt.“ Bezeichnend fand ich daher Philippes Postscriptum: „Abbé de Villers muss weg. Das, was Dir geschah, traf leider den Falschen.“
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder wollte Philippe uns – Marie-Thérèse, mich, Albert Joffe und Daniel Roland – zum Narren halten, oder er stand unter Drogen und lieferte unfreiwillig eine Art Beichte. Albert Joffe, der mich zwei Tage später besuchte, glaubte beides nicht, kam aber trotzdem zur Überzeugung, den Herrn Baron unter Hausarrest zu stellen.
Doch es traf nicht nur Philippe.
Auch Abbé de Villers erhielt den richterlichen Beschluß, sein Hotelzimmer in Saint-Germain-des-Prés, beziehungsweise das Hotel bis auf weiteres nicht zu verlassen. So wie ich den Abbé einschätze, wird er mehr vergnügt als vergrätzt gewesen sein: Denn die Kosten seines Zimmers übernahm nun der Staat. Selig sind die Nobilitäten! Denn Ihrer ist das Staatssäckel! Pack wie unsereiner wäre ins Untersuchungsgefängnis gekommen, in eine Zelle mit Ofen auf dem Flur, Latrinenverschlag, Bett, Tisch, Stuhl und dem Buch der Bücher.
Die Begründung, die Albert Joffe bot, entbehrte nicht einer gewissen Frechheit: Einerseits müsse erst der Verdacht ausgeräumt werden, der Mordanschlag auf meine Wenigkeit sei nicht „mittel- oder unmittelbar“ durch die richterlich arretierten Personen erfolgt. Andererseits diene deren Separierung durchaus ihrer Sicherheit. Denn es sei nicht auszuschließen, dass ein – vermutlich geistesgestörter - dritter Täter es darauf abgesehen habe, diejenigen zu beseitigen, denen ein Begehren auf die Künstlerin Mademoielle Marie-Thérèse zugeschrieben werden müsse.
In logischer Folge hätte ich demnach auch unter Hausarrest gestellt werden müssen. Aber, so dachte sich wohl Polizeikommissar Joffe, nachdem er mich besucht hatte: Noch ruht Monsieur Cocquéreau ja nackt unter einer Seidendecke bei der netten hübschen Jeanne. Des weiteren offenbarte er damit, wie sehr die Pariser Polizei zwischenzeitlich psychologisch geschult war: Denn dass Albert Joffe den Sachverhalt des Begehrens weiter Fasste, als gewöhnlich darunter zu verstehen ist – davon zeugt die Tatsache, dass er Abbé de Villers anderes unterstellte, als dass dieser sich „nur“ an seiner Nichte „vergreifen würde“. Nein, Albert Joffe schaute tiefer, seelischer: Und zwar so, wie Philippe es dem Abbé in seinem Beisein unterstellt hatte.
Und Marie-Thérèse? Sie vertröstete mich, angeblich wegen eines Kartharrs. Wenigstens grüßte sie mich hübsch vertraulich und machte mir insoweit Hoffnung, als dass sie versprach, bald für die Therapie ihrer Augenschwäche zur Verfügung zu stehen. Sie klang, als täte sie mir einen Gefallen, als hätte nur ich besonderes Interesse daran, sie zu heilen. War es dem lieben „Onkel“, Monsieur le Abbé, etwa gelungen, seiner lieben „Nichte“ einzureden, dass sie als blinde Pianistin für das Publikum viel interessanter sei als eine normale, sehende?
War Abbé de Villers wirklich von solchem Kaliber?
Mich packte eine Unruhe, die das vorfrühlingshafte Wetter nur noch verstärkte. Ich sehnte mich nach ausgiebigen Spaziergängen, nach Luft und Licht, leider aber schien es Jeanne ausnehmend gut zu gefallen, sich einen nackten Mann in der Wohnung zu halten. Als ich ihr nämlich ankündigte: Es sei genug, ich befände mich wieder wohl, wäre ihr auf ewig verpflichtet, müsse nun aber wieder ins Leben zurückfinden – begann meine liebe kleine Jeanne zu trotzen. Sie stampfte mit dem Fuß auf und herrschte mich an: „Niemals!“
Ich war so verblüfft, dass es mir die Sprache verschlug. Jeanne kullerten Tränen aus den Augen und machte die böseste Miene von der Welt.
»Sie gehören mir. Basta.«
Sie schlug die Tür zu und schloss ab.
Ich war gerührt,
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