Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
wärmen. Schaue ich ihnen lange genug von meinem Diwan aus zu, beginnen sie irgendwann zu blinzeln und sehen dann in meine Richtung, um herauszufinden, wer sie da beobachtet.
Im Halbschlaf wähnte ich mich von diesen vier gelbgrünen Augenpaaren angestarrt, als mich ein Türklopfen hochscheuchte.
Schweratmig reichte mir die Concierge einen Brief und schwor hoch und heilig, ihn wirklich gerade eben erst bekommen zu haben. Ich glaubte ihr kein Wort. Madame Rousseau trug zwar einen edlen Namen, aber um ihre Ehrlichkeit war es genauso schlecht bestellt wie um ihre Natürlichkeit und Herzensbildung.
»Ihre Pensionäre in Charenton – haben sie einen Aufstand angezettelt? Ich würde ja gleich vor Ort eine Guillotine aufstellen. So was darf doch nicht passieren!«
Wie etliche Frauen, die sich Concierge nennen durften, war Madame Rousseau eine versierte Provokateurin. Ich hatte jedoch rechtzeitig gelernt, ihre Ausfälle zu überhören. Noch während ich die Zeilen überflog, kam mir eine Idee, und so beschloss ich kurzerhand, mir mit Madame Rousseau einen Spaß zu erlauben, anders gesagt, ein Experiment.
Esquirols Brief lagen zwei Freibillets bei. Ob die Veranstaltung nicht genau das Richtige für mich sei? „Sie als neuer Mesmerist müssten für die Firlefanzereien dieses Kopernikus doch empfänglich sein, oder? Leider sind meine Frau und ich verhindert. Gönnen Sie sich doch den Spaß.“
»Bitte, Madame Rousseau. Ich habe eine Überraschung für Sie.«
»Eine Überraschung?«
Wenige Augenblicke später saß die Concierge mir gegenüber und wunderte sich womöglich, warum ihr bislang nie aufgefallen war, wie interessant dieser Irrenarzt aus dem vierten Stock eigentlich war. Hatte ich aufgrund meiner Zecherei und meiner Selbstzweifel nicht etwas von einem Künstler an mir? Einem Dichter gar? Diese seltsamen Augen! Und erst die Stimme! Behaglich wie der Salon ihres geliebten Schwagers. Vorzüge über Vorzüge! Denn auch ein Irrenarzt ist eine Arzt, und Ärzte verdienten bekanntermaßen nicht allzu schlecht.
Ich bilde mir ein, dass Madame Rousseau mir bei diesem Besuch – es sollte übrigens ihr letzter bei mir sein – sogar verzieh, dass ich mich gegen eine Guillotine in Charenton aussprach.
»Madame«, fuhr ich etwas aufgekratzt fort, »Sie haben doch die beiden Billetts gesehen, nicht wahr? Sie gelten für heute Abend. Eine Vorstellung in der Rue de Bretagne im Hôtel de Carnoth. Comte de Carnoth gibt sich die Ehre, auf Empfehlung des berühmten Marquis de Puységur dessen Schüler Kopernikus zu präsentieren.«
Madame Rousseau schaute wie all jene weiblichen Geschöpfe Gottes, die bei jedem Namen, den sie hörten, zwanghaft irgendwelche Klatschgeschichten in ihren Köpfen abriefen. In diesem Fall aber gab es nichts für sie abzurufen. Erstens weil ich lächelte, und zweitens Madame Rousseau von meinem – wie Esquirol sagen würde – psychoiden Kastanienblick auf dem Fauteuil festgehalten wurde.
»Sie wirken ein wenig müde, nicht wahr?«
»Himmel, wie Sie mich durchschaut haben, Monsieur!«
»Wenn ich Ihnen verspreche, nicht böse zu sein, wenn Sie die Augen schlössen, würden Sie es tun?«
»Ach …«
Madame Rousseau musste das Gefühl haben, als lägen plötzlich Zentnerlasten auf ihren Lidern. Dazu meine Stimme … Vielleicht war es wirklich eine Art Wollust, ihr zu folgen. Bald fielen ihr die Augen zu, die mich zwar noch zwei, drei Mal anblinzelten, doch dann begannen sie hinter den geschlossenen Lidern zu rollen. Wie Marie Bonet mir später erklärte, erging es einem in dieser Phase so, dass man irgendwohin entschwebe, in eine zwar bilderlose, aber um so angenehmere raum- und zeitlose Empfindungswelt.
»Wir könnten gemeinsam ins Le Marais gehen, meinen Sie nicht? Hätten Sie Lust? Zum Beispiel auf das Hôtel de Carnoth?«
Statt einer Antwort kam nur noch ein Seufzer. Schließlich war Madame Rousseau nicht nur Concierge, sondern auch eine fünfundfünfzigjährige Witwe. Ihr Bedürfnis nach Abwechslung entsprach also ungefähr dem Durst eines Wüstenkämpfers. Ich bin der festen Überzeugung, auch ohne Suggestion hätte sie meine Einladung angenommen. Allein schon, weil es ihr schmeicheln musste, mit einen Mann auszugehen, der ihr Sohn hätte sein können. Im Zustand der Trance aber wäre sie wohl ebenso wie Madame Bonet mit mir bis ans Ende der Welt gegangen.
Hätte ich ihr suggeriert, ich sei ihr Sohn, diese Concierge hätte mich gestreichelt, verhauen oder für mich gekocht, hätte meine
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