Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Hemden und Hosen gewaschen und mir sogar die Füße geküßt, wenn ich es gewünscht hätte. Ich hätte den Herren spielen oder mich zum betörendsten Mann in ganz Paris machen können.
Ich fragte und suggerierte Madame Rousseau, ob sie nicht in ihrem Bauch die Wärme eines guten Cognac fühle, suggerierte ihr schwere Hände, das Kribbeln eingeschlafener Füße und bat sie schließlich, einen trockenen Kanten Brot zu zerkauen.
Madame Rousseaus Mund erging sich in ergötzlichen Bewegungen, ganz so, als befänden sich ihre Zähne in einem wirklichen Kampf. Sie kaute, saugte, schluckte, und zuweilen knirschte sie mit den Zähnen, als würde sie harte Getreidekörner zermahlen. Meine Faszination verwandelte sich in Erschrecken, ja Abscheu. Schlagartig wurde mir bewußt, wie groß die Macht war, die ich über derart suggestible Menschen besaß. Mir war, als stünde ich auf einer Klippe und schaute in den Abgrund. Irgendwo in der Tiefe lag die noch geschlossene Büchse der Pandora. Alles lag an mir. Wollte ich Macht gewinnen? Oder der Mann mit dem guten Herzen bleiben?
Ich musste keuchen, denn wie aus dem Nichts standen Juliettes Augen vor mir, ihr Bitten und Flehen, die fiebrige Glut der nackten Verzweiflung. Der Giftstein in meiner Brust wurde heiß.
»Wenn wir die Stufen zum Portal des Hôtel de Carnoth betreten haben, kennen wir uns nicht mehr, Madame. Haben Sie verstanden? Wir sind uns ganz fremd.« Meine Stimme wurde heiser, was den Rapport zum Glück nicht beeinträchtigte. Ein bisschen Rache aber musste sein. Viel zu oft hatte Madame Rousseau den Kopf über mich geschüttelt. »Was ich Sie auch frage: Sie werden mich nur ungnädig anschauen und empört sagen: ‚Was Sie wieder schwatzen! Unerhört!‘ Wenn Sie jetzt Lust haben, sich zu waschen und umzuziehen, dann dürfen Sie aufwachen. Sie werden sich wie neu geboren fühlen. Madame Rousseau, bitte kommen Sie zu sich.«
4.
In der Rue de Bretagne stauten sich Fahrzeuge und Geräusche. Die Gäste kamen aus allen Himmelsrichtungen: zu Fuß die einen, in Droschken, Kaleschen oder feinen Coupés die anderen. Nach einer Woche der Selbstvorwürfe war ich so ausgezehrt, dass ich den vielstimmigen Singsang aus Kutscherbrummen, Peitschenknallen und Pferdegetrappel genauso genoß wie das einstudierte Lächeln der Geladenen und ihre Höflichkeitsfloskeln. Wo man hinschaute gemessenes Zunicken. Selbst die unsichtbaren Wolken übertriebener Parfümierung, Pferdeschweiß oder Tabakdunst störten mich nicht, mehr noch, ich empfand sie in diesem Moment als natürliche Accessoires, die wie für mich geschaffen waren.
Die Flügeltüren zum Balkon im ersten Stock waren verheißungsvoll geöffnet, rechts und links grüßten Trikolore und das alte Pariser Stadtwappen. Fluctuat nec mergitur: Von den Wogen geschüttelt, wird es dennoch nicht untergehen.
Concierge Rousseau, die ihr bestes Kleid trug, die schwarzschillernde Witwentracht ihrer Großmutter, schlug sich entzückt die Hand vor den Mund. Es machte Spaß, sie auszuführen. Gleich würde sie eintauchen in eine Bastion der Lebewelt, einen Hort, in dem der Klatsch taufrisch war und wo man ihn pflegte wie der kleine Mann sein bestes Paar Schuh. Adel, Bankiers, Rentiers, Kaufleute, Damen, Kokotten – um uns herum roch es genauso nach Geld wie nach Pomade, Rasierwasser und Parfum. Und der Schmuck, den Madame sah, war ohne Zweifel auch echt!
Mit einem Wort, Madame Rousseau war überwältigt und konnte es kaum abwarten, unter den Damen die Kokotten zu wittern. Sie hatte sich bei mir untergehakt, als wäre ich ihr Sohn, und trug die dazu passende eifersüchtig-stolze Miene zur Schau. Ich tat, als würde ich dieses scheinheilige Spiel genießen. Artig paßte ich mich dem Schritt der Concierge an und hielt sogar den Kopf leicht schräg, um ihrem Geflüster zu lauschen. Selbstverständlich war ich äußerst gespannt. Ob mein Experiment glückte? Wie lange würde Madame Rousseau meinen Suggestionen folgen, ich Macht über ihren Geist haben? War nicht damit zu rechnen, dass sie vom Salongewisper und all dem glitzernden Tand des Geldes fortgeschwemmt würden? Meine Suggestionen unter der Flut der Eindrücke verdampften wie Quecksilber an der Luft?
»Tout Paris«, flüsterte Madame Rousseau bewundernd.
»Nicht ganz. Aber der Comte de Carnoth, Madame, ist nicht nur ein Bewunderer Franz Anton Mesmers und Freund des Marquis de Puységur, sondern seit neuestem auch ein Förderer der Barmherzigen Brüder zu Charenton.«
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher