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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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es, das Publikum um geradezu Phantastisches zu bitten:
    »Ich allein habe nicht die Macht und die Kraft dafür, aber ich kann unser aller Willen und Wollen dirigieren. Darum haben wir uns heute ja auch zusammengefunden. Wollen Sie uns folgen, Madame? Mir und dem Publikum, das Ihnen in diesem Moment verziehen hat, Sie liebt und sich wünscht, Sie wieder glücklich zu sehen? Wollen Sie Ihrem Elend ein Ende bereiten? Bitte! Lassen Sie uns nicht im Stich.«
    La Belle Fontanon schaute ins Publikum, als würde Kopernikus ihr das Evangelium verkünden. Niemand im Salon rührte sich, die Menschen hielten die Luft an. Die Stille glich der in einer Kleinstadt-Kirche, wenn die Gläubigen in sich gekehrt beteten.
    »Ja, ich will.«
    Die schlichten Worte brachen die Herzen der Frauen und rührten das Gewissen der Männer. Kurzum, im Salon des Comte de Carnoth ereignete sich ein Wunder. Mir kam es vor, als fiele das Publikum vor der Schönheit im Rollstuhl auf die Knie. Auf einmal entdeckte es die Wärme und Liebe, die La Belle Fontanons ebenmäßiges Gesicht mit den großen unschuldigen Augen ausstrahlte. Hatte sie nicht in Wahrheit ein Botticelli-Anlitz? Fein, wie gemalt sah es aus und schien wie der Gruß aus einer besseren Welt.
    Wir wollen gut zu ihr sein! La Belle Fontanon, wir werden dir alles verzeihen und zu einem neuen Leben verhelfen. Schenke dich uns, damit wir uns selbst rein und erhaben fühlen können. Sei du unser Jünger, dann werden wir für dich der Samariter sein!
    Ich durchschaute Kopernikus und amüsierte mich über das Publikum, in dessen Köpfen die erotischen Sehnsüchte so bunt durcheinanderwirbelten, dass viele Münder vor Erregung bebten. Ja Madame, dachte ich voller Spott, wir alle zusammen vertrauen jetzt auf Kopernikus und seinen Zauberstab. Denn wir alle wollen nur eins: Dass du wieder auf deinen hübschen Beinen über die Boulevards flanierst und wir uns wieder vorstellen können, wie man diese Beine und alle Geheimnisse, die sie bergen, am besten streichelt!
    Im Grunde war ich bereit, Kopernikus ausgeklügelter Massensuggestion die Achtung nicht zu versagen – mein Würdegefühl jedoch begehrte dagegen auf: Wer war ich, wer dieser Kopernikus? Wer hatte tagtäglich mit Patienten zu tun, denen Geist und Nerven so zerrüttet waren, dass sie ihr Leben nicht mehr meistern konnten? Aber vor allem: Wer von uns beiden hatte wirkliche suggestive Kräfte, und wer schrieb sie sich nur zu? Allein Kopernikus Kostüm! Was war er anders als ein gewöhnlicher Magier? Priester? Richter? General? Einer von denen, die Kostüme und Uniformen benötigten, um andere zu blenden, in dem sie sich aufplusterten wie balzende Vogelmännchen?
    Ich fühlte meinen Willen wachsen, und auf einmal gab es kein Zurück mehr für mich. Alles oder nichts, sagte ich mir, finde es heraus: Wie stark ist deine Gabe wirklich! Wenn La Belle Fontanon suggestibel ist wie Madame Bonet und die Concierge, dann wird Kopernikus sie mit seinem Zauberstab prügeln müssen, damit sie aus dem Rollstuhl springt! Mein Plan stand fest: Wenn Esquirol mir schon seine Billetts abgetreten hatte, war es jetzt meine Aufgabe, in Kopernikus und La Belle Fontanons Schicksal einzugreifen – selbst wenn es aus reiner Eitelkeit geschah.
    Die Schöne befand sich direkt vor mir, gerade einmal drei, vier Armlängen entfernt. Ich zog meine Uhr, ächzte sonor und griff mir an die Brust. Irritiert wandte La Belle Fontanon mir den Kopf zu – und blickte auf jene pendelnde Taschenuhr, mit der ich auch Madame Bonet das erste Mal überlistete.
    »Lassen Sie sich helfen!« sagte ich sanft.
    »Ja«, hauchte La Belle Fontanon und gab sich dem Reflex hin, die hin und her pendelnde Taschenuhr einzufangen. Ich war mir sicher, dass Kopernikus ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht hatte, aber das machte mir die Sache nur leichter. Schon begannen der Schönen die Augen zu rollen, ein Indiz, wie ich in Charenton gelernt hatte, für zumindest nicht geringe Suggestibilität.
    Sekunden verstrichen.
    »Alles wird gut«, sagte ich. »Lauschen Sie in sich. Sie entscheiden, wem Sie vertrauen.«
    »Bitte, Monsieur, unterlassen Sie dies.«
    Freundlich gebot Kopernikus mir, Madame nicht weiter anzusprechen. Um seinen Mund spielte die Süße des liebenden Geistlichen, und seine Augen glitzerten triumphierend wie die eines Heerführers. Doch kaum, dass er den lasziven Schlafzimmerblick Madames analysiert hatte und sich damit konfrontiert sah, mich ernst nehmen zu müssen, stürzte die Fassade

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