Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
mitnimmt«, sagt sie. »Vielleicht, weil es noch nicht zu spät ist, weil man tatsächlich etwas tun kann. Das ist selten genug der Fall, aber diesmal könnten wir eine junge Frau retten, bevor sie …«
»Was willst du eigentlich von mir?«, unterbricht Erik sie.
»Du musst herkommen und tun, was du so gut kannst.«
»Wenn es ihm besser geht, kann ich gerne mit dem Jungen darüber reden, was passiert ist.«
»Du sollst herkommen und ihn hypnotisieren«, erwidert sie ernst.
»Nein, kommt nicht in Frage«, sagt er.
»Es ist der einzige Ausweg.«
»Ich kann nicht.«
»Aber es gibt niemanden, der das so gut kann wie du.«
»Ich habe ja nicht einmal die Erlaubnis, im Karolinska Leute zu hypnotisieren.«
»Die besorge ich dir, bevor du hier bist.«
»Aber ich habe versprochen, nie wieder jemanden zu hypnotisieren.«
»Kannst du nicht einfach herkommen?«
Es wird kurz still, und dann fragt Erik:
»Ist er bei Bewusstsein?«
»Bald.«
Er hört seine eigenen Atemzüge im Hörer rauschen.
»Wenn du den Jungen nicht hypnotisierst, werde ich die Polizei zu ihm lassen.«
Sie legt auf.
Erik bleibt mit dem Hörer in seiner zitternden Hand stehen. Die Schwere hinter seinen Augen rollt zum Gehirn. Er öffnet den Nachttisch, aber die Holzschachtel mit dem Papagei ist nicht da. Er muss sie im Auto vergessen haben.
Er geht durch die Zimmer, um Benjamin zu wecken.
Der Junge schläft mit offenem Mund, sein Gesicht ist blass und wirkt trotz des Schlafs einer ganzen Nacht erschöpft.
»Benni?«
Benjamin öffnet seine schlaftrunkenen Augen und sieht ihn an, als wäre Erik ein wildfremder Mensch, ehe er auf eine Art lächelt, die sich seit seiner Geburt nicht verändert hat.
»Es ist Dienstag – Zeit aufzustehen.«
Benjamin setzt sich gähnend auf, kratzt sich in den Haaren und blickt anschließend auf das Handy hinunter, das um seinen Hals hängt. Es ist jeden Morgen das Erste, was er tut: zu kontrollieren, ob er in der Nacht eine Nachricht verpasst hat. Erik greift nach der gelben Tasche mit einem Puma darauf, die das Faktorpräparat, Desmopressin, Alsol-Lösung, die sterilen Kanülen, die Kompressen, Pflaster und Schmerzmittel enthält.
»Jetzt oder beim Frühstück?«
Benjamin zuckt mit den Schultern.
»Egal.«
Erik reibt schnell den schmalen Arm seines Sohnes ab, dreht ihn ins Tageslicht, spürt die weichen Muskeln, klopft gegen die Spritze und führt die Kanüle behutsam unter die Haut. Während sich die Spritze langsam leert, tippt Benjamin mit der freien Hand auf seinem Handy.
»Mist, der Akku ist fast leer«, sagt er und legt sich anschließend hin, während Erik eine Kompresse auf den Arm presst, um die Blutung zu stillen. Benjamin muss relativ lange so liegen bleiben, bis Erik sie mit einem Pflaster auf dem Arm festklebt.
Behutsam beugt und streckt er die Beine seines Sohns, trainiert danach die schmalen Kniegelenke und massiert abschließend Füße und Zehen.
»Wie fühlt es sich an?«, fragt er und sieht seinem Sohn unablässig ins Gesicht.
Benjamin verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.
»Wie üblich«, sagt er.
»Möchtest du etwas gegen die Schmerzen haben?«
Sein Sohn schüttelt den Kopf, und Erik muss plötzlich an den bewusstlosen Zeugen, den Jungen mit den vielen Stichwunden denken. Vielleicht sucht der Mörder in diesem Augenblick nach seiner erwachsenen Schwester.
»Papa? Was ist?«, fragt Benjamin vorsichtig.
Erik begegnet seinem Blick und sagt:
»Wenn du willst, fahre ich dich zur Schule.«
»Und warum?«
Der Berufsverkehr wälzt sich langsam voran. Benjamin sitzt neben seinem Vater und lässt sich von den ruckelnden Bewegungen des Wagens langsam einschläfern. Er gähnt ausgiebig und spürt nach dem nächtlichen Schlaf immer noch eine sanfte Wärme in seinem Körper. Er denkt, dass sein Vater es eilig hat, sich aber trotzdem die Zeit nimmt, ihn zur Schule zu fahren. Benjamin lächelt in sich hinein. So ist es schon immer gewesen, überlegt er. Wenn Papa besonders schlimme Dinge im Krankenhaus erlebt, macht er sich noch größere Sorgen als sonst, dass mir etwas passieren könnte.
»Jetzt haben wir die Schlittschuhe doch vergessen«, sagt Erik unvermittelt.
»Stimmt.«
»Wir kehren um«, beschließt Erik.
»Nein, nicht nötig, das macht doch nichts«, erwidert Benjamin.
Erik versucht, die Spur zu wechseln, wird aber von einem anderen Auto daran gehindert. Als er zurückgedrängt wird, kollidiert er um ein Haar mit einem Müllwagen.
»Wir haben genügend Zeit,
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