Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
schläft wieder ein. Daraufhin schreit sie ihn an, verlangt, die Wahrheit zu erfahren, und wirft ihm vor, alles kaputtgemacht zu haben, als sie gerade wieder begonnen hat, ihm zu vertrauen.
Sie sitzt im Bett und sieht ihn an. Er scheint nicht zu begreifen, warum sie so aufgebracht ist. Sie denkt, dass sie keine Lügen mehr erträgt. Und dann spricht sie die Worte aus, die sie schon mehrfach gedacht hat, auch wenn sie sich gleichzeitig so fern, schmerzhaft und falsch anfühlen.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir uns trennen.«
Simone verlässt das Schlafzimmer mit Kissen und Decke, hört das Bett hinter sich knarren und hofft, dass er ihr folgt, sie tröstet und ihr erzählt, was passiert ist. Aber er bleibt im Bett, und sie schließt sich im Gästezimmer ein, weint lange und putzt sich schließlich die Nase. Sie legt sich auf die Couch und versucht zu schlafen, erkennt jedoch, dass sie den Gedanken nicht erträgt, an diesem Morgen ihrer Familie zu begegnen. Sie geht ins Badezimmer, wäscht sich das Gesicht, putzt sich die Zähne, schminkt sich und zieht sich an, sieht, dass Benjamin noch schläft, legt ihm einen Zettel auf den Tisch und verlässt die Wohnung, um irgendwo zu frühstücken, bevor sie zu ihrer Galerie geht.
In dem Café mit den Panoramafenstern zum Kungsträdgården muss sie lange sitzen und Zeitung lesen, bis sie zu ihrem Kaffee ein belegtes Brot hinuntergezwungen hat. Durch die große Fensterfront beobachtet sie etwa zehn Personen, die damit beschäftigt sind, irgendeine Veranstaltung vorzubereiten. Vor der großen Bühne im Park sind rosa Zelte aufgestellt worden. Rund um eine kleine Abschussrampe werden Absperrungen aufgestellt. Plötzlich geht etwas schief. Funken sprühen, und ein Feuerwerkskörper schießt in den Himmel. Die Männer weichen stolpernd zurück und schreien sich an. Die Rakete explodiert am hellen Himmel mit einem durchsichtigen blauen Licht, und der Knall hallt zwischen den Häuserfassaden wider.
7.
Dienstagvormittag, der achte Dezember
Zwei verwitterte Menschen halten einen grauen Fötus an sich gedrückt. Der Künstler Sim Shulman hat Ocker, Hämatit, Magnesiumoxid und Kohle mit Tierfett vermischt und die Farben anschließend mit sanften und liebevollen Strichen auf große Steinplatten aufgetragen. Statt eines Pinsels hat Shulman einen Stock mit verkohlter Spitze benutzt. Diese Technik hat er von der französischen und spanischen Magdalénien-Kultur vor etwa 15 000 Jahren übernommen, als die fantastischen Höhlenmalereien von heranstürmenden Büffeln, spielenden Hirschen und tanzenden Vögeln ihre Blütephase erreichten.
Statt Tieren hat Sim Shulman Menschen gemalt: warme, schwebende und einander gleichsam zufällig überlappende Menschen. Als Simone seine Werke zum ersten Mal sah, bot sie ihm augenblicklich eine Einzelausstellung in ihrer Galerie an.
Shulman hat seine dichten schwarzen Haare meistens zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seine kräftigen, dunklen Gesichtszüge bezeugen seine irakisch-schwedische Herkunft. Er ist im Einwanderervorort Tensta aufgewachsen. Als Zwölfjähriger war er Mitglied einer kriminellen Jugendgang, die Kampfsportarten trainierte und Jugendlichen Geld und Zigaretten raubte, wenn sie allein unterwegs waren. Eines Morgens fand man Sim auf dem Rücksitz eines geparkten Wagens. Er hatte Klebstoff geschnüffelt und war bewusstlos, die Körpertemperatur war gesunken, und als der Krankenwagen endlich in Tensta eintraf, schlug sein Herz nicht mehr.
Sim Shulman überlebte und durfte an einem Förderprogramm für Jugendliche teilnehmen, in dessen Rahmen sie einen Schulabschluss machen und gleichzeitig ein Handwerk erlernen sollten. Ohne wirklich zu wissen, was dies beinhaltete, hatte Sim erklärt, Künstler werden zu wollen. Das Sozialamt arbeitete mit der kommunalen Kulturschule und dem Künstler Keve Lindberg zusammen. Sim Shulman hat Simone erzählt, was für ein Gefühl es war, Keve Lindbergs Atelier zum ersten Mal zu betreten. Der große, helle Raum roch nach Terpentin und Ölfarbe. Er ging zwischen gigantischen Gemälden mit grellen, schreienden Gesichtern hindurch. Bereits ein gutes Jahr später wurde er, erst sechzehn Jahre alt, als der bis dahin jüngste Student an der Stockholmer Kunstakademie angenommen.
»Nein, wir sollten die Steingemälde ziemlich tief hängen«, sagt Simone zu ihrer Assistentin Ylva. »Der Fotograf kann sie indirekt beleuchten. Das macht sich gut im Katalog. Wir könnten sie auch
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