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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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anderes war es, was ihn
beschäftigte und seine Gedanken in Anspruch nahm. Die Bemerkung, die
kurz vorher dem General in seiner Erregung entschlüpft war, daß sie
sich über alle und namentlich über ihn, den Fürsten, lustig mache,
hielt er für vollkommen richtig. Er fühlte sich dadurch auch nicht im
geringsten verletzt; seiner Meinung nach mußte es eben so sein. Die
Hauptsache war ihm, daß er sie am nächsten Tag frühmorgens wiedersehen,
neben ihr auf der grünen Bank sitzen, die Belehrung über das Laden von
Pistolen anhören und sie ansehen werde. Weiter hatte er keinen Wunsch.
Die Frage, was sie ihm eigentlich sagen wolle, und was das für eine
wichtige, ihn direkt angehende Angelegenheit sei, tauchte ebenfalls
ein- oder zweimal in seinem Kopf auf. An der tatsächlichen Existenz
dieser »wichtigen Angelegenheit«, um derentwillen er zum Rendezvous
bestellt war, zweifelte er keinen Augenblick; aber er dachte an diese
wichtige Angelegenheit jetzt fast gar nicht, so wenig, daß er nicht
einmal den geringsten Drang verspürte, daran zu denken.
    Das Knirschen leiser Schritte auf dem Sand der Allee veranlaßte ihn,
den Kopf in die Höhe zu heben. Ein Mensch, dessen Gesicht in der
Dunkelheit schwer zu erkennen war, näherte sich der Bank und setzte
sich neben ihn. Der Fürst rückte schnell nahe an ihn heran und erkannte
das bleiche Gesicht Rogoschins.
    »Das habe ich doch gewußt, daß du hier irgendwo umherschweifst; ich
habe auch nicht lange zu suchen brauchen«, murmelte Rogoschin durch die
Zähne.
    Es war das erste Mal seit ihrer Begegnung auf der Treppe des
Gasthauses, daß sie miteinander zusammentrafen. Überrascht durch
Rogoschins plötzliches Erscheinen konnte der Fürst eine Weile nicht mit
seinen Gedanken in Ordnung kommen, und eine qualvolle Empfindung wurde
in seinem Herzen wieder wach. Rogoschin hatte offenbar Verständnis für
den Eindruck, den er hervorrief; aber obgleich er am Anfang verwirrt zu
sein und mit einer Art von gekünstelter Ungezwungenheit zu reden
schien, so merkte der Fürst doch bald, daß in Wirklichkeit von
Künstelei oder besonderer Verlegenheit bei ihm nicht die Rede war; wenn
eine gewisse Ungeschicklichkeit in seinen Gestikulationen und in seiner
Redeweise zutage trat, so war das nur äußerlich; im Herzen konnte sich
dieser Mensch nicht verändern.
    »Wie hast du ... mich denn hier gefunden?« fragte der Fürst, um etwas zu sagen.
    »Ich hatte von Keller gehört (ich war nämlich nach deiner Wohnung
herangegangen), du wärest in den Park gegangen; na, dachte ich, dann
ist die Sache richtig.«
    »Was heißt das: ›die Sache ist richtig‹?« fragte der Fürst, indem er
aufgeregt den Ausdruck aufgriff, der dem andern entschlüpft war.
    Rogoschin lächelte, gab aber keine Erklärung dafür.
    »Ich habe deinen Brief erhalten, Ljow Nikolajewitsch; du hast dir
unnütze Mühe gemacht ... wozu tust du das nur ...! Jetzt aber komme ich
zu dir in ihrem Auftrag: du sollst unbedingt zu ihr kommen; sie hat dir etwas zu sagen. Sie läßt dich bitten, noch heute hinzukommen.«
    »Ich werde morgen kommen. Ich gehe jetzt gleich nach Hause. Willst du nicht ... zu mir kommen?«
    »Wozu? Ich habe dir alles Nötige gesagt; adieu!«
    »Willst du nicht doch mitgehen?« fragte ihn der Fürst leise.
    »Du bist ein sonderbarer Mensch, Ljow Nikolajewitsch; man muß sich über dich wundern.«
    Rogoschin lächelte spöttisch.
    »Warum? Weshalb hast du jetzt einen solchen Groll gegen mich?«
fragte ihn der Fürst traurig und mit warmer Empfindung. »Du weißt ja
jetzt selbst, daß alles, was du gedacht hast, unwahr ist. Übrigens habe
ich es mir auch gedacht, daß dein Groll gegen mich noch nicht vergangen
sein würde, und weißt du, weshalb? Weil du mir nach dem Leben
getrachtet hast, darum vergeht dein Groll nicht. Ich sage dir, ich
erinnere mich nur an jenen Parfen Rogoschin, mit dem ich an jenem Tag
das Kreuz gewechselt habe; ich habe dir das in meinem gestrigen Brief
geschrieben, damit du diesen ganzen Fieberwahn vergessen und nicht mit
mir davon zu reden anfangen möchtest. Warum trittst du von mir weg?
Warum versteckst du deine Hand vor mir? Ich sage dir, daß ich alles
damals Geschehene nur für einen Fieberwahn halte: ich habe jetzt für
dich, wie du an jenem ganzen Tag warst, ein ebenso gutes Verständnis
wie für mich selbst. Das, was du dir einbildest, existierte nicht und
konnte nicht existieren. Warum soll unser Groll fortdauern?«
    »Was kannst du denn für Groll empfinden?« erwiderte

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