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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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ich Ihnen jetzt erzählen werde, für die häßlichste
Handlung meines ganzen Lebens. Dabei sind seitdem fast fünfunddreißig
Jahre vergangen; aber ich habe mich, sooft ich daran denke, nie von
einer gewissen, sozusagen kratzenden Empfindung am Herzen frei machen
können. Die Sache war übrigens im höchsten Grade dumm: ich war damals
eben erst Fähnrich geworden und hatte einen schweren Dienst. Na, nun
weiß man ja: so ein Fähnrich hat heißes Blut und wenig Moneten. Ich
hatte damals einen Burschen, Nikifor hieß er, der für meine Wirtschaft
sehr eifrig sorgte; er hielt die Groschen zusammen, nähte, striegelte
und putzte und stahl sogar von überallher zusammen, was er kriegen
konnte, um meinen Haushalt über Wasser zu halten; er war der treueste,
redlichste Mensch, den man sich nur denken kann. Ich war gegen ihn
natürlich streng, aber gerecht. Es traf sich, daß wir eine Zeitlang in
einem kleinen Städtchen in Garnison lagen und ich mein Quartier in
einer Vorstadt bei der Witwe eines verabschiedeten Leutnants hatte,
einer alten Frau von achtzig Jahren, oder wenigstens war sie nahe
daran. Sie hatte ein elendes, baufälliges Holzhäuschen und konnte sich
bei ihrer Armut nicht einmal eine Bedienung halten. Besonders
merkwürdig war an ihr, daß sie früher einmal eine große Familie und
zahlreiche Verwandte gehabt hatte; aber die einen waren im Laufe ihres
langen Lebens gestorben, andere weggezogen, wieder andere hatten die
alte Frau vergessen, und ihren Mann hatte sie vor etwa fünfundvierzig
Jahren begraben. Einige Jahre vorher, ehe ich dort in Quartier lag,
hatte noch eine Nichte bei ihr gewohnt, eine bucklige Person, wie ich
hörte, und böse wie eine Hexe, so daß sie sogar einmal die alte Frau in
einen Finger gebissen hatte; aber auch die war gestorben, und nun stand
die Alte schon drei Jahre lang mutterseelenallein in der Welt. Ich
langweilte mich bei ihr schrecklich; denn sie war so einfältig, daß nie
ein Wort aus ihr herauszubekommen war. Schließlich stahl sie mir einen
Hahn. Die Sache ist noch bis auf den heutigen Tag dunkel; aber es
konnte niemand als sie gewesen sein. Um des Hahnes willen verzankten
wir uns, und zwar gründlich, und da kam es mir sehr erwünscht, daß man
mich gleich auf mein erstes Gesuch hin in ein anderes Quartier
verlegte, in der entgegengesetzten Vorstadt, bei einem Kaufmann, der
eine zahlreiche Familie und einen gewaltigen Bart hatte, wie ich mich
noch heutigentags erinnere. Ich und Nikifor zogen mit Freuden um; die
Alte blieb in mißvergnügter Stimmung zurück. Es vergingen etwa drei
Tage, da komme ich einmal vom Exerzieren zurück, und Nikifor sagt zu
mir: ›Wir hätten unsere Terrine nicht bei der früheren Wirtin
zurücklassen sollen, Euer Wohlgeboren; ich weiß jetzt nicht, worin ich
die Suppe auftragen soll.‹ Ich war natürlich höchst verwundert: ›Wie
geht das zu? Wie ist das gekommen, daß unsere Terrine bei der Wirtin
geblieben ist?‹ Erstaunt berichtete mir Nikifor weiter, die Wirtin habe
ihm bei unserem Auszug unsere Terrine nicht herausgegeben, mit der
Begründung, da ich ihr ihren eigenen Topf zerbrochen hätte, so wolle
sie nun für ihren Topf unsere Terrine behalten, und ich hätte ihr das
selbst vorgeschlagen. Über eine solche Gemeinheit von ihrer Seite
geriet ich natürlich außer mir; das Fähnrichsblut kam in Wallung; ich
sprang auf und lief zu ihr hin. Als ich zu der Alten kam, kochte ich
sozusagen vor Wut; ich sehe mich um, und da sitzt sie ganz allein auf
dem Flur in einer Ecke, als ob sie sich vor der Sonne versteckt hätte,
die eine Wange auf die Hand gestützt. Nun, wissen Sie, da ließ ich denn
gleich einen ganzen Hagel von Scheltworten auf sie niederprasseln: ›Du
bist ja‹, sagte ich, ›eine ...‹ und so weiter und so weiter; wissen
Sie, so in echt russischer Art. Wie ich sie aber so anblicke, kommt es
mir sonderbar vor: sie sitzt da, das Gesicht mir zugewendet, die Augen
weit geöffnet, und antwortet kein Wort und sieht so
sonderbar, ganz sonderbar aus und nickt, wie es scheint, mit dem Kopf.
Ich schwieg schließlich still, sah sie an, fragte sie, bekam aber keine
Antwort. Ich stand noch ein Weilchen unschlüssig da; die Fliegen
summten, die Sonne war im Untergehen, es herrschte tiefe Stille; ganz
verwirrt ging ich endlich fort. Ich war noch nicht nach Hause gelangt,
da wurde ich zum Major befohlen; dann mußte ich zur Kompanie gehen, so
daß ich erst spät am Abend nach Hause zurückkehrte. Das erste, was
Nikifor zu mir sagte, war:

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