Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
tun.«
Der Schock unter den Presse-, Funk- und Fernsehleuten hielt nicht lange an, denn Kendrick fuhr, die Hände ausstreckend, fort: »Ich bin ganz ehrlich zu Ihnen, meine Damen und Herren. Ich gedenke nicht, noch lange hierzubleiben...«
»Haben Sie gesundheitliche Probleme, Sir?« fiel ihm ein junger Mann, der ganz hinten stand, ins Wort.
»Wollen Sie sich mit mir auf einen Boxkampf einlassen? Soviel ich weiß, bin ich kerngesund.«
»Ich war der Boxchampion meines College, Sir«, fügte der junge Reporter hinzu. Er mußte es ganz einfach sagen, wenn die anderen ihn dafür auch gutmütig lachend ausbuhten. »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er verlegen.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, mein Junge. Wenn ich Ihr Talent hätte, würde ich wahrscheinlich den Chef des Beschaffungsamtes im Pentagon und seinen Gegenspieler im Kreml herausfordern und alles auf schlichte altmodische Weise regeln. Einen Gegner von jeder Seite, und den Bataillonen bliebe so manches erspart. Doch leider habe ich Ihr Talent ebensowenig wie gesundheitliche Probleme.«
»Dann sagen Sie uns bitte, was Sie gemeint haben«, meldete sich ein bekannter Kolumnist der New York Times zu Wort.
»Wie schmeichelhaft für mich, daß Sie auch hier sind«, sagte Kendrick, der den Mann erkannte. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie Zeit genug haben, um sie an mich zu verschwenden.«
»Ich finde, Sie sind es wert, und so kostbar ist meine Zeit auch nicht. Woher kommen Sie, Herr Abgeordneter?«
»Das weiß ich nicht genau. Doch um Ihre erste Frage zu beantworten: Ich bin nicht sicher, daß ich hergehöre. Und zu Ihrer zweiten Frage: Da ich nicht sicher bin, ob ich hergehöre, bin ich in der beneidenswerten Lage, ungeachtet aller Konsequenzen sagen zu können, was ich will - der politischen Konsequenzen, meine ich.«
»Das ist ja eine Neuigkeit«, sagte ›Stan-der-Mann‹ und machte sich Notizen. »Ihre Erklärung, Sir!«
»Danke. Ich hätte sie gern hinter mir. Wie so vielen anderen Leuten gefällt mir nicht, was ich sehe. Ich habe viele Jahre im Ausland gelebt, und vielleicht muß man sich einmal draußen umsehen, um zu verstehen, was wir haben – wir brauchen es nur mit dem zu vergleichen, was die anderen nicht haben. Diese Regierung sollte nicht in den Händen einer Clique sein, und doch kommt es mir so vor, als sei genau das der Fall. Ich habe keine Beweise, aber es ist so, ich weiß es. Und Sie wissen es auch. Sie wollen eskalieren, immer nur eskalieren, zeigen immer auf Gegner, die die wirtschaftliche und technologische Eskalation auf die Spitze getrieben haben. Wo, zum Teufel, machen wir halt? Wo machen sie halt? Wann hören wir auf, unseren Kindern Alpträume zu verschaffen, weil sie uns stets und ständig nur von totaler Vernichtung reden hören? Wann bekommen Ihre Kinder das nicht mehr zu hören? Oder fahren wir einfach mit diesem in der Hölle gebauten Fahrstuhl immer höher, bis wir nicht mehr zurückkönnen, was dann jedoch nichts mehr ausmacht, weil ohnehin alle Straßen lichterloh brennen werden... Entschuldigen Sie bitte, ich weiß, es ist nicht fair, aber ich habe plötzlich keine Lust mehr, weitere Fragen zu beantworten. Ich gehe in die Berge zurück.«
Evan Kendrick rutschte vom Schreibtisch herunter und ging durch die wie betäubt dastehende Menge auf die Tür zu. Er öffnete sie und verschwand, die Schritte beschleunigend, auf dem Korridor.
»Der geht mir in keine Berge«, flüsterte Patrick Xavier O′Reilly seiner Frau zu. »Der Junge bleibt hier, in dieser Stadt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Pssst!« flüsterte Annie mit Tränen in den Augen. »Er hat sich eben im Parlament unmöglich gemacht.«
»Vielleicht im Parlament, Mädchen, aber nicht bei uns. Er hat nicht allzu zartfühlend den Finger auf die Wunde gelegt. Sie alle
machen Geld wie Heu, und wir machen uns vor Angst in die Hose. Paß auf den Jungen auf, Annie, sorg gut für ihn. Er ist eine Stimme, die wir hören möchten.«
19
Mit offenem Hemd, das Jackett lose über der Schulter, wanderte Kendrick durch die feuchtschwülen Straßen von Washington. Er hatte keine Ahnung, wohin er ging, setzte nur einen Fuß vor den anderen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Öfter als ihm lieb war, hatten Fremde ihn angehalten und ihm gesagt, was sie von seinen Auftritten hielten. Die Meinungen waren geteilt, doch überwogen die zu seinen Gunsten, und er wußte noch nicht, ob ihm das recht war.
»Diesem doppelzüngigen Mistkerl haben Sie’s
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