Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
meisten derjenigen, die nicht die finanziellen Mittel für ausgedehnte Recherchen hatten, und alle Druckerzeugnisse, die sich den Teufel darum scheren, ob etwas der Wahrheit entspricht oder nicht – falls sie das Wort überhaupt buchstabieren können -, erlebten einen pseudo-journalistischen Jubeltag. Sie benutzten das höchster Geheimhaltung unterliegende Memorandum als Sprungbrett und stürzten sich kopfüber in die wilden Gewässer heroischer Spekulation, weil sie ihre unbedarfte Leserschaft kannten, die nach einer Story wie dieser geradezu lechzte. Immer noch glauben die einfacheren Schichten der Bevölkerung dem gedruckten Wort und halten es für unfehlbare Wahrheit, was es leider sehr oft nicht ist.
Was jedoch in jeder Story völlig fehlte, waren Wahrheiten, tiefschürfende Wahrheiten, die über die erstaunlich genauen Enthüllungen hinausgingen. Kein mutiger junger Sultan von Oman wurde erwähnt, der sein Leben und seine Familie gefährdet hatte, um Kendrick zu helfen. Auch nicht die Omaner, die ihn auf dem Flugplatz und in den Seitenstraßen von Maskat beschützt hatten. Und ebensowenig eine fremde, faszinierend professionelle Frau, die ihn auf einer Zufahrtsstraße zum Flugplatz von Bahrein gerettet hatte, nachdem man ihn um ein Haar getötet hätte; die Frau, die für ihn eine Zuflucht und einen Arzt gefunden hatte, der seine Verletzungen versorgte. Doch vor allem erwähnte keine einzige Zeitung die israelische Einheit, die, von einem Mossad-Offizier angeführt, Kendrick vor einem Tod errettet hatte, an den er heute noch nicht denken konnte, ohne zu schaudern. Auch von einem zweiten Amerikaner war nirgends die Rede, einem alten Architekten aus der Bronx, ohne den Kendrick schon seit einem Jahr tot gewesen wäre – ein gefundenes Fressen für die Haie von Katar.
Statt dessen durchzog eine einhellige Meinung alle Blätter wie ein roter Faden: alles Arabische war unmenschlich, brutal, allein das Wort »arabisch« ein Synonym für Terrorismus, Skrupellosigkeit und Barbarei. Einem ganzen Volk wurde jeder Anspruch auf Anständigkeit versagt. Je länger Kendrick las, um so zorniger wurde er. Und plötzlich fegte er in einem Wutanfall alle Zeitungen mit einer einzigen Bewegung vom Bett auf den Boden.
Warum?
Wer?
Auf einmal fühlte er einen furchtbaren Schmerz in der Brust. Achmad! O Gott, was hatte er getan? Würde der Sultan verstehen? Konnte er verstehen? Durch Unterlassung – durch Schweigen – hatten die amerikanischen Medien das ganze Land Oman verdammt; nun konnten sich Hinz und Kunz hinterhältig über die arabische Unfähigkeit im Umgang mit Terroristen ereifern oder- schlimmer noch- alle Araber des Komplizentums bei dem willkürlichen, brutalen Mord an amerikanischen Bürgern bezichtigen.
Er mußte Achmad anrufen, mußte ihm erklären, daß alles über seinen Kopf hinweg geschehen war, daß er es nicht steuern konnte. Kendrick setzte sich auf die Bettkante, griff nach dem Telefon, holte zugleich seine Brieftasche aus der Tasche und
fischte, den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter klemmend, die Kreditkarte heraus. Da er die Vorwahl von Maskat nicht mehr wußte, wählte er o, um das Amt zu bekommen. Plötzlich verstummte der Wählton, und einen Augenblick starrte er, in Panik geraten, zum Fenster.
»Ja. Dreiundzwanzig?« sagte eine heisere Männerstimme.
»Ich habe versucht ein Amt zu bekommen.«
»Sie können wählen, was Sie wollen, Sie kriegen immer nur den Empfang.«
»Ich – ich muß mit Übersee telefonieren«, sagte Kendrick fast stotternd, so verwirrt war er.
»O nein, nicht hier, nicht mit diesem Telefon.«
»Mit Kreditkarte. Wie bekomme ich ein Amt? Ich lasse mein Kreditkartenkonto belasten.«
»Ich höre das Gespräch ab, bis Sie Ihre Kreditkartennummer durchgegeben haben und die Bestätigung vorliegt, daß sie auch gültig ist, verstanden.«
Kendrick verstand nicht. War das eine Falle? Hatte man seine Spur bis in dieses schäbige Hotel in Woodbridge, Virginia, verfolgt? »Ich glaube nicht, daß dieser Vorschlag für mich akzeptabel ist. Es ist ein Privatgespräch.«
»Ja, so was auch!« antwortete der Mann am Empfang höhnisch. »Dann suchen Sie sich gefälligst ein Münztelefon. In dem Schnellimbiß fünf Meilen die Straße runter gibt es eins. Ende, Sie Arschloch, Sie haben mich lange genug aufgehalten.«
»Warten Sie einen Moment! Na schön, bleiben Sie in der Leitung. Aber sobald die Telefonistin die Verbindung hergestellt hat, möchte ich hören, daß Sie auflegen,
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