Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
Vizepräsident Orson Bollinger seufzte hörbar. Es klang nicht unfreundlich. »Wie korrupt wir doch alle miteinander sind«, sagte er. »Sie, zum Beispiel, Herr Abgeordneter, bestehen aus lauter Widersprüchen. Die Persönlichkeit, die Sie in der Öffentlichkeit darstellen, würde sich nie auf Geschäfte mit uns einlassen.«
»Falls Sie – ganz zufällig natürlich nur – unser Gespräch auf Band mitschneiden oder sogar mit einer versteckten Videokamera Aufnahmen machen, möchte ich eine Erklärung abgeben. Ich bin ein gebranntes Kind und habe mein Bestes getan, um die Flammen in Oman zu löschen, weil sie mir schwere Brandwunden zugefügt und viele von meinen Freunden getötet haben. Ich sehe da nichts Widersprüchliches.«
»Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung, Herr Abgeordneter Kendrick, Bild und Ton laufen mit. Ihre Erklärung bleibt also der Nachwelt erhalten.«
Plötzlich wurde scheinbar ohne jeden Anlaß die ruhige Besprechung durch mehrere Signale gestört. Auf der Konsole des Funktelefons auf dem Schreibtisch blinkte ein grelles rotes Licht, und irgendwo in den Stuckwänden begann gedämpft eine Sirene zu jaulen – wahrscheinlich steckte sie im Maul eines
ausgestopften Tieres. Die Tür flog auf, und der sonnenverbrannte Kapitän des Bootes stürmte herein.
»Was willst du hier?« schrie Grinell ihn an.
»Laß diesen Furz hier rausschaffen!« schrie der andere zurück. »Ich hab’ das Ganze von Anfang an für eine Falle gehalten, und ich hatte recht. In Bollingers Haus wimmelt es von Regierungsleuten, die Washington in Marsch gesetzt hat, um nach ihm zu suchen. Und jeder muß ihnen Rede und Antwort stehen wie bei einem Polizeiverhör.«
»Was?«
»Damit werden wir fertig, aber wir haben ein größeres Problem. Das Hauptbuch. Bollinger ist angerufen worden. Das Miststück hat es ihrem eigenen Anwalt übergeben.«
»Halt den Mund!« befahl Grinell.
»Er spricht von zehn Millionen, die ihr, wie sie ihm erzählt hat, von ihrem Andy-Boy versprochen worden sind. Jetzt will er sie haben.«
»Ich hab’ dir gesagt, du sollst den Mund halten! Du hast gesagt, die Kerle von der Bundespolizei verhören jeden. Wie hast du das gemeint?«
»Genauso, wie ich’s gesagt habe. Sie nehmen sie nicht nur in die Mangel, sie haben auch Haussuchungsbefehle. Sie werden nichts finden, aber nicht, weil sie nicht gründlich genug suchen.«
»Im Haus des Vizepräsidenten? Das ist unerhört.«
»Sie machen das sehr schlau. Sie erzählen Bollinger, daß sie ihn vor seinen Untergebenen schützen. Aber niemand kann mir das einreden.« Der Yachtkapitän wandte sich an Kendrick. »Dieses Schwein sollte uns in die Falle locken. Das Wort des Helden steht gegen das aller anderen.«
Grinell sah Kendrick starr an. »Wenn es keinen Helden gibt, gibt es auch sein Wort nicht mehr. Adiόs, Herr Abgeordneter.« Grinell drückte auf einen Knopf an der Seite des Schreibtischs, und die Tür des riesigen Zimmers mit den Jagdtrophäen öffnete sich wieder. Der Mafioso trat, den Colt im Anschlag, vorsichtig ein. »Bringen Sie ihn raus«, befahl Grinell. »Die Mexikaner werden Ihnen sagen, wohin... Sie haben mich wirklich zum Narren gehalten, Herr Abgeordneter. Die Lektion werde ich mir merken. Hüte dich vor dem zungenfertigen, philosophierenden Überläufer.«
Das Donnern der Wellen, die mit großer Wucht an die felsige Steilküste der Insel schlugen, wurde immer lauter, als sie den bernsteinfarben beleuchteten Pfad hinuntergingen. Ein Stück weiter vorn hörten die Lichter auf. Zwischen den beiden letzten Lampen versperrte eine massive weiße Schranke, an der ein Schild angebracht war, den Weg.
Peligro – Gefahr!
Hinter der Schranke ein Felsvorsprung, darunter brodelnde Gischt. Das Donnern der gegen die Felsen schlagenden Wellen war jetzt ohrenbetäubend. Evan Kendrick wurde zu seiner Hinrichtungsstätte geführt.
41
Wirbelnde Dampfschwaden stiegen von dem Felsvorsprung auf. Kendrick unterdrückte seine Panik und erinnerte sich an den Pakt, den er mit sich selbst geschlossen hatte: Er würde nicht kampflos sterben, er ließ sich nicht ermorden, ohne sich zu wehren, gleichgültig, wie sinnlos sein Widerstand war. Aber selbst ein letzter verzweifelter Versuch setzte eine wenn auch noch so geringe Überlebenschance voraus. Überall um ihn herum wucherten tropische Kletterpflanzen, stark und widerstandsfähig durch die Feuchtigkeit und die Winde, denen sie ständig ausgesetzt waren. Üppiges Dickicht wuchs zu beiden Seiten der
Weitere Kostenlose Bücher