Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
Leichnam auf dem Pflaster hinweg.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Sir! Gehen Sie! Laufen Sie auf der anderen Seite hinaus. Man darf Sie hier nicht sehen. Beeilen Sie sich!«
»Beantworten Sie erst meine Frage.« Kendrick war hartnäckig und blieb zum Ärger des Polizisten stocksteif stehen. »Oder ich bleibe, und Sie können dann Ihrem Sultan antworten.«
»Was für eine Frage? Gehen Sie!«
»Sie haben gesagt, diese beiden würden möglicherweise zu den anderen dreckigen Schweinen kommen – das waren Ihre Worte. Zu welchen anderen Schweinen? Wohin?«
»Wir haben keine Zeit!«
»Wohin?«
Der Polizist atmete tief ein und zitterte vor nervöser Ungeduld. »Na schön. Zwischenfälle wie diesen hat es schon häufiger gegeben. Wir haben eine Anzahl von diesen Kerlen verhaftet, und sie werden von vielen Leuten verhört. Das darf nicht bekannt werden...«
»Wie viele sind es?«
»Dreißig, vierzig – vielleicht fünfzig inzwischen. Sie verschwinden aus der Botschaft, und andere – immer wieder andere nehmen ihren Platz ein.«
»Wohin bringt man sie?«
Der Polizist sah Kendrick starr an und schüttelte den Kopf. »Nein, ya schaikh , Sir, das sage ich Ihnen nicht. Gehen Sie!«
»Ich verstehe. Danke.« Kendrick raffte seine Aba zusammen und lief durch die Gasse, vorbei an dem toten Terroristen, dessen Blut in die Ritzen zwischen den Kopfsteinen sickerte.
Kendrick erreichte die Straße, blickte zum Himmel auf und stellte fest, in welche Richtung er gehen mußte. Zum Meer, zu den Ruinen der uralten Festungen im südlichen Hafen. Dort würde er den Mann namens El-Bas suchen und mit ihm wegen der neuen Ausweispapiere sprechen. Doch seine Gedanken waren nicht bei der bevorstehenden Verhandlung. Sie beschäftigten sich mit der Information, die er vor ein paar Minuten bekommen hatte: »Dreißig, vierzig, vielleicht fünfzig inzwischen.« Dreißig bis fünfzig Terroristen wurden in einem isolierten Gefängnis in oder außerhalb der Stadt festgehalten und von den Hand in Hand arbeitenden Geheimdiensten unter Anwendung von Gewalt verhört. Doch falls seine Theorie zutraf, daß diese Kinderschlächter der wahnsinnige Abschaum des Islams waren, die von einem Mann manipuliert wurden, der hinter allen Wirtschaftsverbrechen in Bahrein steckte – gewissermaßen von einem Overlord des Wirtschaftsverbrechens -, mußten alle Verhörtechniken, angefangen bei denen der Pharaonen bis zur Inquisition und den Camps in Hoa Binh, wirkungslos bleiben. Es sei denn – es sei denn – man nannte einem der Gefangenen einen Namen, der die fanatischsten Leidenschaften eines religiösen Eiferers aufpeitschte, und überredete ihn, preiszugeben, was normalerweise nie über seine Lippen gekommen wäre. Und wenn er sich, um sein Schweigen nicht brechen zu müssen, auf eine ähnlich abscheuliche Weise umgebracht hätte wie der junge
Terrorist heute abend. Man müßte dazu natürlich einen ganz besonderen Fanatiker finden, aber es war möglich. Kendrick hatte zu Frank Swann gesagt, daß unter zwanzig Terroristen vielleicht einer war, der genug Intelligenz besaß, um dieser Vorstellung zu entsprechen. Einer von zwanzig, grob geschätzt zehn oder zwölf aus dem ganzen Kontingent von Mördern in der Botschaft – vorausgesetzt, daß Kendricks Vermutung zutraf. War möglicherweise auch einer unter den dreißig bis fünfzig Gefangenen in dem isolierten geheimen Gefängnis? Die Wahrscheinlichkeit war gering, doch wenn er sich nur für ein paar Stunden unter sie mischen könnte, besonders nachts, könnte er das feststellen. Die Zeit, die er dafür aufwenden müßte, wäre es wert, sofern man ihm erlaubte, sie dort zu verbringen. Um seine Jagd beginnen zu können, brauchte er ein paar Fakten – einen Namen, eine Ortsangabe, ein Gebiet an der Küste, einen Code, der nach Bahrein zurückführte. Irgend etwas! Er mußte sich noch heute nacht in dieses Gefängnis einschmuggeln lassen. Die Hinrichtungen sollten in drei Tagen von morgen an um zehn Uhr vormittags wieder beginnen.
Aber zuerst die Papiere von EI-Bas.
Die Ruinen der alten portugiesischen Festung ragten unheimlich in den dunklen Himmel, eine zerklüftete Silhouette, die von der Stärke und Entschlossenheit seefahrender Abenteurer vergangener Jahrhunderte kündete. Kendrick ging rasch durch das Stadtviertel Harat Waljat in Richtung des Marktes Sabat Ajnub, was frei übersetzt ›Korb voller Trauben‹ hieß – ein Marktplatz, der viel übersichtlicher gegliedert war als ein Basar, mit
Weitere Kostenlose Bücher