Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
weggetragen wurden. »Du hast richtig gehandelt«, sagte er auf englisch mit ausdrucksloser Stimme ganz sachlich zu Asra. »Man muß wissen, wann man aufhören soll.«
Asra sah Kendrick aus glanzlosen Augen an. »Mir war es ernst mit dem, was ich gesagt habe. Schau uns doch an. Der Tod von Menschen, die uns nahestehen, verändert uns. Von einem Tag zum anderen lassen wir die Kindheit hinter uns, werden erwachsen, egal wie alt wir den Jahren nach sind, und niemand weiß mehr über den Tod als wir, denn die Erinnerungen lassen uns nie los.«
»Ich verstehe...«
»Nein, das tust du nicht, Amal Bahrudi. Du führst einen rein ideologischen Krieg. Für dich ist Tod ein politischer Akt. Du bist ein leidenschaftlicher Gläubiger, das bezweifle ich nicht – aber trotzdem: woran du glaubst, das ist Politik. Das ist nicht mein Krieg. Ich habe keine andere Ideologie als den Wunsch zu überleben, damit ich Tod mit Tod vergelten – und dennoch überleben kann.«
»Wozu?« fragte Kendrick, plötzlich zutiefst interessiert.
»So merkwürdig es klingt – um in Frieden zu leben, was meinen Eltern nicht vergönnt war. Ich möchte nur, daß wir alle in unserem Land leben dürfen, das man uns gestohlen und unseren Feinden gegeben hat und für das die reichen Nationen bezahlen, um ihre Verbrechen gegen ein Volk wiedergutzumachen, die nicht unsere Verbrechen waren. Jetzt sind wir die Opfer und müssen uns wehren, müssen kämpfen.«
»Wenn du glaubst, das sei keine Politik, solltest du noch einmal darüber nachdenken. Du bist und bleibst ein Poet, Asra.«
»Nicht nur mit meinen Gedanken, Bahrudi, auch mit dem Messer und dem Gewehr.«
Wieder entstand Unruhe auf dem Hof. Eine verschleierte Frau und ein Mann mit weißen Strähnen im Haar liefen auf Asra zu. Saja Jatim und Abjad, der Weiße, dachte Kendrick und blieb aufrecht und abweisend stehen. Die Begrüßung zwischen Bruder und Schwester war seltsam; sie schüttelten sich förmlich die Hand, sahen einander an und fielen sich in die Arme.
Auch Abjad umarmte Asra und küßte ihn auf beide Wangen. »Du wirst uns viel zu erzählen haben«, sagte er.
»Das habe ich«, stimmte Asra zu und wandte sich an Evan Kendrick, »und verantwortlich dafür ist dieser Mann. Es ist Amal Bahrudi aus Ost-Berlin, vom Mahdi zu uns nach Maskat geschickt.«
Über dem Schleier musterten Sajas leidenschaftliche Augen forschend Kendricks Gesicht. »Amal Bahrudi«, wiederholte sie. »Ich habe den Namen natürlich schon gehört. Der Einfluß des Mahdi reicht weit. Du bist von deiner eigenen Arbeit weit entfernt.«
»Und fühle mich nicht ganz wohl dabei«, antwortete Kendrick im kultivierten Dialekt von Riad. »Doch andere werden beobachtet, jeder Schritt, den sie tun, wird registriert. Daher der Plan, daß jemand herkommen soll, den man ganz woanders vermutet, und Ost-Berlin bietet sich für eine solche Operation praktisch von selbst an. Die Leute nehmen es auf ihren Eid, daß man noch dort ist. Als der Mahdi rief, bin ich dem Ruf gefolgt. Das heißt, eigentlich war ich es, der den ersten Kontakt mit ihm hergestellt hat – wegen eines Problems, das ihr hier habt und das dein Bruder dir erklären wird. Unsere Ziele mögen verschieden sein, doch wenn wir zusammenarbeiten, können wir alle nur gewinnen, insbesondere wenn unsere Rechnungen bezahlt werden.«
»Aber«, sagte Abjad, die Stirn runzelnd, »man hat dich hier entlarvt, Bahrudi aus Ost-Berlin, von dem es heißt, daß er ständig unterwegs ist.«
»Stimmt, man sagt mir nach, daß ich in der Welt herumkomme«, antwortete Kendrick und lächelte leicht. »Was mir hier passiertist, wird meinem Ruf natürlich nichtbesonders förderlich sein.«
»Dann wurdest du also verraten?« fragte Saja Jatim.
»Ja. Ich weiß auch, von wem, und werde ihn zu finden wissen. Seine Leiche wird sehr bald im Hafen schwimmen...«
»Bahrudi hat unseren Ausbruch organisiert«, fiel Asra ihm ins Wort. »Während ich nachgedacht habe, hat er gehandelt. Der Ruf, den er hat, ist wohlverdient.«
»Gehen wir hinein, mein liebster Bruder. Dort können wir reden.«
»Wir haben Verräter unter uns, meine liebste Schwester«, entgegnete Asra. »Um uns das zu sagen, ist Amal hier. Sie
machen Fotos und schmuggeln sie hinaus, verkaufen sie. Wenn wir am Leben bleiben, wird man uns viele Jahre lang unerbittlich jagen.«
Die Schwester musterte den Bruder fragend. »Fotos? Mit versteckten Kameras aufgenommen, die schwierig zu bedienen sind und noch von niemand entdeckt wurden? Gibt es
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