Der illustrierte Mann
besitzen eine Vergangenheit, verstehst du, Befehlshaber, eine Vergangenheit von Generationen von Kindern, die diese Geschichten förmlich verschlungen haben. Sie verfügen über eine regelrechte Literatur von erfolgreich zurückgeschlagenen Invasionen. Kannst du dasselbe von der Marsliteratur behaupten?«
»Also ...«
»Nein.«
»Ich glaube nicht.«
»Du weißt, daß das nicht der Fall ist. Wir haben nie so phantastische Geschichten geschrieben. Jetzt rebellieren wir gegen unsere Vergangenheit, wir schreiten zum Angriff, und wir werden sterben.«
»Ich kann keinen Sinn in deinen Schlußfolgerungen erkennen. Wo steckt der Zusammenhang mit diesen Magazingeschichten?«
»In der Moral. Das ist eine große Sache. Die Erdmenschen wissen, daß sie nicht versagen können. Dieses Wissen steckt ihnen im Blut, das durch ihre Adern rinnt. Sie können einfach nicht versagen. Sie werden jede Invasion zurückschlagen, ganz gleich, wie gut sie organisiert sein mag. Diese Geschichten, die sie in ihrer Jugend lasen, haben ihnen ein Selbstvertrauen gegeben, dem wir nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. – Wir Marsmenschen? Wir sind unsicher; denn wir wissen, daß wir versagen können. Unsere Moral ist schwach, trotz Trommelschlag und Trompetengeschmetter.«
»Von diesem Verrat will ich nichts wissen«, schrie der Befehlshaber. »Dies Geschreibsel wird in den nächsten zehn Minuten verbrannt werden, genau wie du, Ettil Vrye! Du hast die Wahl: entweder reihst du dich in unser Kriegsheer ein, oder du wirst verbrannt.«
»Es ist die Wahl zwischen zwei Todesarten. Ich wähle den Flammentod.«
»Wache!«
Er wurde in den Hof gestoßen. Er sah, wie sein sorgsam gehorteter Lesestoff ein Raub der Flammen wurde. Man hatte eine anderthalb Meter tiefe, mit Öl gefüllte Grube angelegt. Tosend loderte das Öl auf, als die Fackel hineingeworfen wurde. In einer Minute würde man ihn hineinstoßen.
Am anderen Ende des Hofes erkannte er im Schatten die traurige Gestalt seines Sohnes; einsam und verlassen stand er in einer Ecke, seine großen gelben Augen leuchteten vor Kummer und Furcht.
Ettil blickte in die lodernde Grube. Er fühlte, wie rohe Hände ihn ergriffen, ihm die Kleider vom Leibe rissen und ihn dem sengenden Todeskreis entgegenschoben. Erst jetzt, im letzten Augenblick, besann Ettil sich und schrie: »Wartet!«
Das Gesicht des Befehlshabers, überstrahlt von der orangefarbenen Glut, schob sich durch die bebende Luft. »Was gibt es?«
»Ich will dem Kriegsheer beitreten«, erwiderte Ettil.
»Gut! Laßt ihn frei!«
Die Hände lösten sich von ihm.
Als er sich umwandte, begegneten seine Augen dem Blick seines Sohnes am anderen Ende des Hofes. Er lächelte nicht, er wartete nur. Am Himmel sprang ein ehernes Raumschiff flammenspeiend von Stern zu Stern ...
»Und jetzt wünschen wir diesen kühnen Kriegern Lebewohl«, sagte der Militärbefehlshaber. Die Kapelle schmetterte, und der Wind blies einen feinen, süßen Tränenregen sanft über die schwitzende Armee. Die Kinder tollten herum. In dem Durcheinander sah Ettil seine Frau vor Stolz weinen, während sein Sohn gefaßt und schweigend an ihrer Seite stand.
Lachend marschierten die Männer in die Raumschiffe.
Sie banden sich in ihren Hängematten fest, die wie ein riesiges Spinnennetz das Raumschiff durchzogen. Bald waren alle Hängematten mit faul sich räkelnden Männern gefüllt. Sie kauten an Bissen ihrer Verpflegung und warteten. Ein großes Schott schlug zu. Ein Ventil zischte.
»Auf zur Erde und zur Vernichtung«, flüsterte Ettil.
»Was?« fragte jemand.
»Auf zum glorreichen Sieg«, sagte Ettil und schnitt eine Grimasse.
Das Raumschiff machte einen Satz.
Hinein ins Leere, dachte Ettil. Da sausen wir nun wie in einem Kupferkessel durch die Tintenschwärze des Weltraumes, vorbei an rosigen Lichtpunkten; ein gefeiertes Geschoß, abgesandt, die Augen der Erdmenschen mit brennender Furcht zu erfüllen, wenn sie zum Himmel aufsehen. Was ist das nur für ein Gefühl, hier und jetzt zu sein, weit, weit weg von zu Hause, von Weib und Kind?
Er versuchte sein Zittern zu analysieren. Es war, als habe man seine verborgensten, innersten Organe fest auf dem Mars verankert und dann einen gewaltigen Sprung gemacht, Millionen Meilen weit ins Nichts. Das glühende Herz schlug immer noch auf dem Mars. Das Gehirn lag immer noch auf dem Mars, wie eine weggeworfene Fackel, fein gebunden und weiter denkend. Der Magen lag immer noch auf dem Mars, faul und bemüht, das letzte
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