Der im Dunkeln wacht - Roman
…«
»Ich habe die Telefonfirma angerufen. Die sagen, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Aber jetzt muss jemand bezeugen, dass ich wirklich ich bin und dass die Nummer wieder freigeschaltet werden soll.«
»Ich kümmere mich drum, meine Kleine«, sagte Irene.
Es war lange her, dass sie Jenny so außer sich erlebt hatte. Für sie war es eine Katastrophe, wenn sie nicht rund um die Uhr erreichbar war, insbesondere da sie sich im Ausland aufhielt. Sie konnte ihre Freundinnen und Freunde nicht mehr erreichen. Irene konnte die Frustration ihrer Tochter verstehen. Nach einer Weile gelang es ihr, Jenny zu beruhigen, indem sie ihr versprach, die Sache mit dem Mobiltelefonanbieter zu klären.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, wurde Irene unruhig. Krister hatte ein miserables Zahlengedächtnis. Sie wusste,
dass er immer einen Zettel mit den Handynummern seiner Töchter in der Brieftasche hatte, falls er sein eigenes Handy einmal nicht in Reichweite haben sollte. Über die Handynummer konnte der Dieb auch die Adressen ihrer Töchter herausfinden.
Am selben Tag, an dem Krister einen Karton mit pornographischen Gegenständen erhalten hatte, hatte jemand Jennys Handynummer gesperrt. Und dann waren da noch die anderen Vorfälle, die Bank im Rosenbeet, die Abdrücke von Schuhspitzen in dem anderen Beet, die zerstörten Astern und die tote Katze im Briefkasten.
Jemand versuchte den Alltag von Familie Huss zu sabotieren. Die einzige, die bisher ungeschoren davongekommen war, war Katarina.
Irene rief ihre andere Tochter an. Felipe war am Apparat. Er hatte ausgezeichnete Laune und war gesprächig. Offenbar gefiel ihm das Studium an der Technischen Universität Chalmers. Dass Architekten zurzeit schwer Anstellung fanden, schien ihn nicht zu bekümmern. Irene war überzeugt, dass es, falls überhaupt jemandem aus seinem Jahrgang, am ehesten ihm gelingen würde, eine gute Stelle zu finden. Sie unterbrach Felipes Redefluss und fragte nach Katarina. Ihre Tochter nahm den Hörer, und nachdem sie sich über Allgemeines unterhalten hatten, erzählte ihr Irene von den Unerfreulichkeiten, die die anderen Familienmitglieder in letzter Zeit heimgesucht hatten.
»Bist du sicher, dass das alles zusammenhängt? Das könnten doch einfach nur unangenehme Zufälle sein«, meinte Katarina.
»Natürlich wäre das möglich, aber ich denke doch darüber nach, warum das alles gerade jetzt und so gehäuft passiert.«
»Shit happens!«, sagte ihre Tochter und lachte unbekümmert.
Vielleicht hatte sie ja Recht. Aber warum dann alles auf einmal ? Irgendetwas stimmte nicht. Die ersten Vorfälle waren ärgerlich, könnten sich aber als Dummejungenstreiche abtun lassen. Der Diebstahl der Brieftasche, die Bestellung der Sexspielzeuge
und die gesperrte Handynummer waren jedoch von ganz anderem Kaliber und kaum von Kindern ausgeheckt. Außerdem war sogar Jenny, die sich in Amsterdam aufhielt, davon betroffen gewesen.
Irene beschloss, die neuesten Vorfälle am nächsten Tag mit ihren Kollegen zu besprechen.
W arum soll es sich um einen Stalker handeln?«, fragte Kommissarin Thylqvist.
»Ich habe etwas recherchiert. Der Gedanke kam mir, als wir von Blumen und Fotos bei beiden Mordopfern erfuhren. Die Fotos wurden durch die Fenster der Frauen aufgenommen. Die Person mit der Kamera stand also draußen im Dunkeln. Als bewache er sie. Das Bibelzitat ist eine Mitteilung an seine Opfer. Er glaubte, sie verstünden ihn. Aber weder Ingela Svensson noch Elisabeth Lindberg konnten das. Da dachte ich, dass es sich eventuell um einen Stalker handelt«, sagte Sara.
Die gesamte Ermittlergruppe saß im Konferenzraum. Soeben waren die Ergebnisse der letzten Tage bei der Jagd auf den Paketmörder zusammengetragen worden. Alle hatten wie immer Kaffee vor sich stehen. Irene fiel erneut auf, dass Sara als Einzige Tee trank. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es unter ihnen jemals einen Teetrinker gegeben hatte. Allerdings litt Kommissar Andersson einmal Ende der 90er Jahre an Magenproblemen und trank einige Wochen lang nur Tee. Ungewöhnlich aufreibende Wochen für seine Mitarbeiter.
»Und weiter?«, sagte Thylqvist.
Sara griff zu einigen Papieren, die in ihrem DIN-A-4-Block steckten. Ohne daraufzuschauen, begann sie ihr Refererat:
»In diesem Fall könnte es sich um einen sogenannten Wahnhaften Stalker handeln. Darunter versteht man einen Verfolger, der sich einbildet, eine Beziehung, in der Regel eine Liebesbeziehung, zu seinem Opfer zu haben. Oder
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