Der im Dunkeln wacht - Roman
sich um mehrere Personen, die lachten und schrien.
»Von wegen, Hanko hat Angst! Ihr habt Angst!«, ließ sich eine helle Jungenstimme aus dem Unterholz vernehmen. Anschließend war wieder lautes Lachen zu hören.
»Ach, das ist Jonathan«, sagte Marie.
Hanko wedelte eifrig mit dem Schwanz. Er begrüßte die drei etwa achtjährigen Jungen, die jetzt aus den Büschen krochen, mit einem fröhlichen Kläffen. Die drei hielten Spielzeugwaffen
in den Händen, die beunruhigend echt wirkten. Der Junge namens Jonathan hatte ein Gewehr, das vermutlich das laute Knallen verursacht hatte.
»Da habt ihr es wirklich mit der Angst bekommen!«, rief er triumphierend.
Irene war verlegen, weil sie so heftig auf die Schüsse reagiert hatte. Sie versuchte dies mit einem Lächeln zu überspielen.
»Natürlich! Man weiß schließlich nicht, ob Schüsse von einer richtigen Waffe kommen oder …«
Jonathan fiel ihr ins Wort:
»Das hier ist eine richtige Waffe!«
Drohend hob er sein Minigewehr, und seine beiden Kumpane begannen mit ihren Pistolen zu fuchteln.
»Ich frage mich, was Karin sagt, wenn ich ihr erzähle, dass ihr Menschen und Tieren so einen Schrecken einjagt. Vielleicht nimmt sie dir dann dein Gewehr weg!«, sagte Marie.
Sie hob drohend den Finger und sah Jonathan mit gespieltem Ernst an.
»Dann erzähle ich aber auch Papa, was ihr gestern gemacht habt!«
Wieder sah Irene den Triumph im Gesicht des Jungen. Macht. Das Bürschchen kostete ganz eindeutig seine Macht aus. Bei manchen fängt es schon früh an, dachte Irene. Ein Blick auf Marie machte sie stutzig. Diese war leichenblass und schien einer Ohnmacht nahe.
»Das … war nur ein Scherz«, murmelte sie mit schwacher Stimme.
Marie zog an Hankos Leine, um weiterzugehen. Der Hund wirkte etwas erstaunt, akzeptierte dann aber nach einem gewissen Zögern die Entscheidung.
Irene folgte ihnen langsam. Sie drehte sich um und sah die Jungen nachdenklich an. Die beiden Freunde Jonathans richteten ihren Blick unschlüssig auf ihren Anführer. Jonathan beantwortete
ihre unausgesprochene Frage, indem er sein Gewehr an die Schulter hob, umständlich auf Marie zielte und einen weiteren Schuss abfeuerte. Als sie ein Stück in das kleine Wäldchen hineingegangen waren, sagte Irene:
»Jonathan hat gestern etwas gesehen, was sich zwischen Ihnen und seiner Mutter abgespielt hat. Ich nehme an, dass Katrin Ihre Freundin ist. Und sie hat auch den Mann in Ihrem Garten gesehen.«
Marie antwortete nicht, sondern zog die Schultern hoch und starrte geradeaus. Sie beschleunigte ihre Schritte, als wollte sie Irene davonlaufen, was ihr aber nicht gelang. Nach einer Weile begann sie angestrengt zu atmen. Fitnessstudio hin oder her, keine Ausdauer, die Gute, dachte Irene mit einer gewissen Zufriedenheit. Selbst spürte sie nicht einmal eine Beschleunigung ihres Pulses.
Dann blieb Marie so abrupt stehen, dass Irene ein paar Schritte ohne sie weiterging. Hanko hatte beschlossen, dass es für den Einsatz der schwarzen Tüten seines Frauchens höchste Zeit sei. Am Rand des Weges krümmte er seinen Rücken. Irene fiel auf, dass Maries Schultern bebten. Sie weinte.
»Wir müssen darüber sprechen und über einige andere Dinge. Wir haben uns den Fragen, derentwegen ich gekommen bin …«
Marie drehte sich zu ihr um und fauchte:
»Sie … verdammte Schnüfflerin!«
Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihre Züge waren vor Wut verzerrt. Irene war erstaunt, dass Marie ihre Aggressionen gegen sie richtete. Dann verstand sie, warum. Sie hatte die Identität der heimlichen Freundin enthüllt. Marie machte sich Sorgen, dass sich die Polizei bei Katrin melden könnte. Seufzend sagte Irene:
»Beruhigen Sie sich. Ich bin schon seit vielen Jahren bei der Kriminalpolizei und kann mir das eine oder andere zusammenreimen. Aber diese Fähigkeit besitzen auch andere. Offenbar ist
das ja Jonathan auch schon geglückt. Obwohl er die Tragweite von dem, was er gesehen hat, nicht begreift, hat er das Gefühl, dass ihm seine Beobachtung Macht verleiht. Macht über Katrin und Sie. Früher oder später wird er es seinem Vater erzählen. Für Sie alle hat diese Geschichte ein neues Stadium erreicht. Aber nicht darüber wollte ich jetzt mit Ihnen sprechen. Das geht mich nichts an. Ich möchte mit Katrin nur darüber sprechen, was sie an diesem Februarabend durchs Fenster gesehen hat.«
Marie schluchzte, versuchte sich die Tränen abzuwischen und nestelte gleichzeitig eine Tüte aus der Jackentasche, um den
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