Der im Dunkeln wacht - Roman
zu seinen Opfern. Meist verfolgt er mehrere Personen auf einmal. Das scheint ja auch auf
unseren Mörder zuzutreffen. Dazu gehört, dass die Opfer häufig nicht einmal wissen, dass sie verfolgt werden oder wer der Verfolger ist. Häufig hat der Stalker sein Opfer nur aus einem gewissen Abstand oder vielleicht auch nur auf einem Foto gesehen. Aber das genügt ihm oder ihr meist.«
»Aber sind solche Stalker eigentlich gefährlich?«, fragte die Kommissarin.
»Für mich klingt das nach harmlosen Trotteln, die in einer Fantasiewelt leben«, warf Jonny ein.
»Diese Stalker können gefährlich werden, wenn die ahnungslosen Opfer etwas tun, was die Beziehung zu gefährden scheint«, fuhr Sara mit einem Seitenblick auf Jonny fort.
»Wie zum Beispiel?«, fragte Thylqvist.
»Beispielsweise eine Eheschließung. Oder sie ziehen mit jemandem zusammen. Sie bekommen Kinder. Was auch immer dem Stalker das Gefühl gibt, eine Veränderung sei eingetreten, die sein eingebildetes Verhältnis mit dem Opfer bedroht.«
»Seit wann bist du unter die Profiler gegangen?«, fragte Jonny höhnisch.
Irene hatte bei Saras Referat aufgehorcht. Vieles ließe sich erklären, wenn sie es wirklich mit einem Stalker zu tun hatten. Aber war der Urheber der seltsamen Ereignisse, die sie und ihre Familie betrafen, ebenfalls ein Stalker? Oder eher nicht, da eben mehrere Familienmitglieder davon betroffen waren? Die Schikane richtete sich gegen die gesamte Familie Huss, nicht gegen ein einzelnes Familienmitglied. Bei Gelegenheit wollte sie das Problem des unbekannten Verfolgers ansprechen, aber jetzt mussten sie sich auf den Paketmörder konzentrieren.
»Ich glaube, Sara ist auf der richtigen Spur«, sagte Irene.
»Das glaube ich auch«, pflichtete ihr Tommy bei.
Irene fiel auf, dass der stellvertretende Kommissar am Ende des Konferenztisches Efva Thylqvist gegenübersaß. Sie saßen so weit wie möglich voneinander entfernt. Die Kommissarin und
ihr Stellvertreter waren ungewöhnlicherweise auch nicht gleichzeitig zu der Besprechung erschienen. Kriselte es etwa?, überlegte Irene und musste sich ein kleines Lächeln verkneifen.
»Wieso glaubt ihr das?«, wollte die Kommissarin wissen.
Irene dachte nach und antwortete dann:
»Der Stalker wird zum Gewalttäter, wenn das Opfer etwas unternimmt, das er für eine Gefährdung der Beziehung hält. Marie Carlsson gab zu, dass der Mann in ihrem Garten das Vorspiel des Liebesaktes zwischen ihr und ihrer Freundin beobachtet haben könnte. Wenn ihr an die Fotos denkt, die die Mordopfer erhalten haben, so wirken sie ziemlich harmlos. Aber wenn der Stalker davon ausging, dass eine Beziehung zwischen ihm und Ingela und ihm und Elisabeth bestand, dann sieht die Sache ganz anders aus.«
Irene erhob sich und ging zum Computer. Sie klickte auf den Ordner mit den Bildern. Eine Vergrößerung öffnete sich.
Ingela Svensson saß auf dem Sofa und schaute Richtung Fenster. Das Kerzenlicht funkelte in ihren Augen. Sie lächelte. Sie hielt ihr Weinglas erhoben und trank dem Mann, der mit dem Rücken zum Fotografen saß, zu. Ganz ähnlich das andere Foto. Elisabeth blickte lächelnd auf ihren Sohn Tobias herab, der auf der Couch saß und darauf wartete, dass sie ihm Kaffee nachschenkte.
»Das Bild von Ingela lässt sich nicht missverstehen. Sie lächelt den Mann, mit dem sie sich allein im Zimmer befindet, verliebt an. Falls der Stalker von einer Beziehung zwischen sich und Ingela ausging, musste er zwangsläufig rasend werden.«
»Aber im Fall von Elisabeths Sohn kann das doch wohl kaum der Fall gewesen sein?«, wandte Jonny ein.
»Und wenn er nicht wusste, dass er ihr Sohn war? Wenn er Tobias dort nur ein- oder zweimal gesehen hat? Tobias wohnte schließlich nicht bei ihr, sondern bei seinem Freund. Vielleicht glaubte der Mörder, Elisabeth habe sich einen jüngeren Liebhaber zugelegt«, entgegnete Irene.
»Das klingt alles andere als unwahrscheinlich«, pflichtete ihr Tommy bei.
Einen Augenblick herrschte Stille, und alle versuchten, sich vorzustellen, mit wem sie es zu tun hatten. Ein Wahnhafter Stalker war im Bekanntenkreis des Opfers nicht zu finden. Es handelte sich um eine Person, die nicht leicht aufzuspüren sein würde.
Irene wandte sich an Sara.
»Was für ein Mensch entwickelt sich denn zu solch einem Wahnhaften Stalker?«
»Normalerweise eine alleinstehende Person mit Kontaktproblemen. Unreif, was Gefühle angeht. Oft vollkommen unfähig, enge Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Jemand,
Weitere Kostenlose Bücher