Der im Dunkeln wacht - Roman
gibt«, sagte Krister.
»Wohl kaum. Der erste Frost war schon.«
Sie wusste das, weil sie auf der Wetterkarte im Verlauf der Woche auf das Wetter in Värmland geachtet hatte. Obwohl die Tage sonnig und ziemlich warm waren, hatte es dort oben bereits ein paar Frostnächte gegeben. Das kam um diese Jahreszeit oft vor.
»Aber wir müssen das Haus auch noch putzen, und das kannst du mit deiner Hand nicht machen. Ich komme mit«, sagte Irene.
»Gut. Aber ich fahre vielleicht schon am Donnerstag. Ich wollte noch in Säffle vorbeifahren und meine Schwestern besuchen. Das ist schon wieder so lange her.«
»Wenn ihr nächstes Wochenende in den Wald fahrt, dann kann ich das Parkett im Wohnzimmer abschleifen und zweimal lackieren. Das müsste reichen«, meinte Felipe.
»Du bist wirklich der ideale Schwiegersohn«, sagte Irene begeistert und umarmte ihn.
Felipe lächelte zufrieden.
Jenny rief am Samstag an und teilte mit, dass sie bereits am 17. Dezember nach Hause kommen und bis zum 8. Januar bleiben werde. Sie habe im Internet ein billiges Flugticket aufgetrieben. Sie hatte jedoch nicht vor, in den Ferien einfach nur zu faulenzen. Ihr alter Arbeitgeber, das Restaurant Grodden, empfing sie an den Tagen, an denen sie Lust hatte zu arbeiten, mit offenen Armen. Als Studentin konnte sie sich keine Extraeinnahmen entgehen lassen. Vom Studiendarlehen könne man nicht leben, erklärte sie. Außerdem sei Amsterdam eine teure Stadt.
Die Akademie in Amsterdam war eine der wenigen Institutionen, die Gourmetköche für vegetarische Restaurants ausbildete. Ähnliche Einrichtungen gab es zwar in Schweden und anderen europäischen Ländern auch, aber die Schule, die Jenny angenommen hatte, galt als besonders gut. Die Ausbildung dauerte ein Jahr, und mit ihr hatte man beste Berufsaussichten.
»Wohnst du immer noch in dieser heruntergekommenen Wohnung?«, fragte Irene.
»Ja. Und die verrückte Sharon wohnt auch noch da. Seit sie eingezogen ist, war sie keinen einzigen Tag nüchtern. Sie ist neunzehn, aber wahnsinnig kindisch! Angeblich studiert sie Fotografie
an der Kunstakademie, aber damit ist nicht viel her, das ist sicher. Bislang jedenfalls noch nicht.«
Jenny klang wie eine verantwortungsvolle Erwachsene, und das war sie schließlich auch, fand Irene.
»Eine Frau aus meinem Kurs mietet eine große Wohnung ganz in der Nähe der Schule. Sie bewohnen sie zu dritt. Ende Oktober geht ein Typ nach Hamburg zurück. Wenn ich will, kann ich sein Zimmer haben. Ich glaube, das mache ich auch. Diese Wohnung jetzt ist wirklich ziemlich abgerissen«, fuhr Jenny fort.
»Klingt nach einer guten Idee. Ich meine, umzuziehen«, sagte Irene.
Als sie aufgelegt hatte, blieb sie neben dem Telefon sitzen. Ihre Töchter waren wirklich fantastisch. Reif und selbständig. In ihrem Inneren flüsterte eine tückische Stimme: »Sie brauchen dich nicht mehr!«
In diesem Augenblick kam Egon ins Zimmer getapst. Er bellte vor Freude, als er Irene sah, und lief auf sie zu. Sie nahm ihn auf den Schoß und streichelte ihn eine Weile. Es war schön, dass es außer Krister noch jemanden gab, der sie brauchte.
S ie brauchte ihr Training wirklich. Zweimal die Woche Minimum. Um die Alltagsfrustration aus dem System zu bannen. Sie auszuschwitzen, das war das einzig Richtige. Sich auf eine Analytikercouch zu legen war nichts für sie. Eine Steigerung der physischen Kräfte bedeutete automatisch eine stärkere Psyche. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, hieß es schließlich. Aber das Training hatte auch noch einen anderen Aspekt: Es erhielt ihren Körper jugendlich. Es war ihr wichtig, sich attraktiv zu fühlen. Sie wusste, dass Männer – und natürlich auch Frauen – ihren Körper bewunderten. Ihn begehrten.
Ihre Arbeit war zwar nicht physisch anstrengend, dafür aber psychisch. Sie hatte die Verantwortung für das Wohl und Wehe von Menschen. Oft musste sie rasche Entscheidungen treffen. Waren diese falsch, dann konnte das für viele Menschen schicksalhafte Konsequenzen bedeuten. Konnte sie in gewissen Fällen sogar tödlicher Gefahr aussetzen. Wer trug dann die Schuld? Natürlich sie. Die höchsten Chefs sahen immer zu, dass ihnen niemand etwas anhaben konnte.
Oft fühlte sie sich einsam. Beobachtet. Andere Frauen waren missgünstig. Die Männer, die sie umgaben, machten ganz gelassen und fast automatisch Karriere. Sie musste all ihre List aufbieten, um ihre Kompetenz zu erhöhen. Aber sie würde noch ganz nach oben kommen. Bisher war auch
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