Der Implex
schlechten oder stabil guten Situationen zu neuen, das heißt: Lagen, die instabil übel sind (das Gute will werden) oder instabil gut (das eben noch stimmige Leben hat Widerspruchsrisse bekommen), bringen Zungenreden hervor, das in der dann vollzogenen Verbesserung (»Revolution«), nicht aufgehaltenem Niedergang (»Dekadenz«) oder einfach beschleunigtem Umbruch für eine Weile (manchmal ganze Dekaden) in den betroffenen Kulturkreisen geradezu hegemonial werden kann. Eine Sprachkritik, die in solchem Umbruchsgefasel nur eine Gelegenheit erblickt, überkommenen Sprachgebrauch zu verteidigen, wird das Thema schlimmer verfehlen als jene, die in Zungen reden, das jeweils ihre. Die in der literarischen Moderne immer wieder erhobene, von Ezra Pound mit einem Zitat des Konfuzius und von anderen mit abendländischen Ästhetika begründete Forderung, die Sprache sei nicht nur zu revolutionieren, sondern »in Ordnung zu bringen«, »zu berichtigen«, befindet sich in steter Gefahr, eine eben nicht themenunabhängige, niemals interessenlose Parteilichkeit bei der Klärung von Begriffen zum Verschwinden bringen zu wollen; nur wo diese gegeben und bekannt ist, wo sie eingestanden ist und reflektiert wird, kann Sprachkritik einen im Sinne unseres fünften Kapitels technischen Nutzen erbringen (bei Karl Kraus ist diese Parteilichkeit etwa eine nie vollständig positiv artikulierte, aus allen seinen Interventionen indes ablesbare, ihrem Umriß nach präzise von seinen Angriffen her auszumachende Ethik des bürgerlichen Humanismus auf klassizistischer Grundlage). Eine dem Interessenvergessen und Parteilichkeitverschweigen analoge Gefahr, die zu jenen abermals im Verhältnis der Beobachtung zweiter Ordnung zur Beobachtung erster Ordnung steht, ergibt sich aus der alle analytische Kritik am Neopositivismus unbeschadet überlebenden neopositivistischen Lehre der analytischen Philosophie, Wahrheit lasse sich niemals aus etwas Nichtpropositionalem (wie etwa einer Beobachtung) gewinnen: Nur wer mit Propositionen beginnt, könne zu Propositionen kommen. Würde man das als Gebot ernst nehmen, so dürfte die streng analytische Philosophin aber auch nicht aus Propositionen Wahrheiten ziehen, jedenfalls aus keinen, die sie gelesen oder gehört hat, denn Lesen und Hören sind nun mal Wahrnehmungen. Man kann zwar Ideen nicht riechen, Schlüsse nicht schmecken, aber unsere Gedanken erfahren uns und wir sie – wir nehmen Gedanken wahr, wir denken Wahrnehmungen, und diese Dinge grundsätzlich trennen zu wollen oder die Induktion zu leugnen, ist, wie wenn man behaupten wolle, es gebe keinen Gehörsinn, weil man die Farbe Rot nicht hören kann. Beides aber, Denken und Wahrnehmen, wird erst zum Material für Philosophie, wenn es kommuniziert wird; und die Gedanken und Wahrnehmungen sind eben nicht frei – sie mögen freier sein als die Handlungen der Menschen; bleiben die Menschen aber unfrei und wird diese Unfreiheit ontologisiert, so bleiben ihre Wahrnehmungen, Gedanken, Propositionen, Vokabulare und Folgerungen, so frei sie aussehen, in jenem Alptraum gefangen, den der Held von Joyces Künstlerporträt zu verlassen wünschte und für den er einen ebenso vertrauten wie furchterregenden Namen wußte: Geschichte.
VIERZEHN
AM JONBAR-SCHARNIER RÜTTELN
I.
Ja, mach nur einen Plan
Seit die Bürger, die sich vom Ständestaat emanzipieren wollten, ihre Position aufgrund der Sitzordnung eines Parlaments in Frankreich »links« nennen lernten und die Verteidiger der Vorsehung, des Blutrechts, der geburtsbestimmten Eliten sich »rechts« wiederfanden, ist der Unterschied zwischen rechten und linken Ansichten übers Gemeinwesen, unabhängig von der Frage, ob man dieses von den darin kursierenden Ideen, seinen juristischen Formen, seiner Verwaltungsart oder schließlich der Produktionsweise, die es am Leben erhält, gedacht hat, in einem wesentlichen Belang stets derselbe gewesen: Die Linke glaubt, es ließe sich eine öffentliche Übereinkunft darüber finden, wie das Leben und die Selbsterhaltung des Gemeinwesens zu gestalten seien, man müsse es also nicht »sich selbst überlassen«, sondern könne begreifen, daß dieses »es selbst« keine vom Tun, Lassen und vor allem Planen der Individuen verschiedene Existenz besitzt – wenn die Leute keine Geschlechtsunterschiede in Beruf und öffentlichem Ansehen wollen, wenn sie nicht wollen, daß das Zusammenleben von Liebenden über die Frage der Nachkommenschaft oder diese allein über die Chromosomensätze
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