Der Infekt
weit hergeholt. Ich denke, Sie legen es nur darauf an, daß ich mich weich klopfen lasse und Ihnen offiziell erlaube, sich weiterhin um die Sache zu kümmern.« Er erhob sich, während er weitersprach. »Aber das können Sie vergessen, Dr. Green. Ich erwarte, daß Sie morgen früh auf dem für Sie reservierten Platz in der Maschine nach Wien sitzen. Und ich erwarte weiter, daß Sie erst zurückkehren, wenn Sie die undichte Stelle gefunden haben.« Er sah Green scharf an. »Ist das klar?«
Green nickte. »Das ist klar, Sir Ronald.«
»Gut, dann wünsche ich Ihnen viel Glück.« Abbott sah auf die Uhr. »Ach, du meine Güte, ich komme zu spät zum Empfang. Wenn der Minister das monieren sollte, Dr. Green, werde ich ihm Ihren Namen nennen. Vielleicht kann er Sie an der Küste postieren. Wenn uns die Deutschen oder die Franzosen überraschend angreifen sollten, können Sie sie mit Gesprächen sicher so lange hinhalten, bis reguläre Truppen eintreffen.« Er nahm seinen Hut und gestattete sich eine Art von Grinsen.
Green schnitt eine verzweifelte Grimasse. Der Chef hatte bisweilen einen bizarren Humor.
II. Diagnose
Montevideo, Uruguay
D r. Jorge Santos-Cruz warf den dünnen Plastikordner in den offenen Aktenkoffer, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand, stützte dann nachdenklich das Kinn in die linke Hand und schüttelte langsam den Kopf.
Es war wirklich sehr merkwürdig. Zwei Tage lang hatte er Erkundigungen eingezogen, und alle Auskünfte, die er erhalten hatte, schienen seine Hypothese zu bestätigen. Irgendwo im Südwesten des Landes mußte es einen Infektionsherd geben, der diese Welle von Grippeerkrankungen hervorgerufen hatte. Sein alter Freund Manuel Roldan hatte auf seine Bitte hin zusätzlich noch einmal die Herkunft der zuerst Erkrankten ermittelt. Sie stammten allesamt aus dem Banda-Oriental-Gebiet. Inzwischen hatte es allerdings auch schon Ansteckungsfälle im Zentralkrankenhaus gegeben.
Dr. Santos-Cruz biß sich auf die Unterlippe. Zunächst hatte er noch gehofft, daß der Virus von der anderen Seite der Grenze ins Land getragen worden wäre. Aber seinem Kollegen in Buenos Aires lagen nicht die geringsten Meldungen über eine Grippewelle im südlichen Argentinien vor. Santos-Cruz hatte sich daraufhin auf einigen Generalstabskarten mit den potenziellen Zentren dieser Epidemie beschäftigt. Und er konnte es drehen und wenden, wie er wollte: Alles deutete darauf hin, daß die Krankheit irgendwo innerhalb der riesigen Rinderzuchtgebiete östlich von Mercedes ihren Ausgang genommen hatte.
Nun war es natürlich nicht so, daß das Zentrale Gesundheitsamt bei jeder x-beliebigen Grippewelle von sich aus aktiv wurde. Aber hier lag der Fall doch anders. Selbst Professor Roldan und seine Teams im Zentralkrankenhaus hatten nach wie vor Schwierigkeiten, die Fieberschübe der ersten Erkrankungstage in den Griff zu bekommen. Die Zahl der Todesopfer war inzwischen auf über zwanzig angestiegen. Und da mußte Santos-Cruz als Chef der staatlichen Gesundheitsfürsorge etwas unternehmen, ob er nun wollte oder nicht.
Also hatte er von seinem Sekretariat Besuchstermine bei einigen Zuchtstationen arrangieren lassen. Vielleicht konnte man herausfinden, wo die meisten Menschen von der Krankheit betroffen waren und durch prophylaktische Impfungen die Zahl der Neuinfektionen senken.
Bisher war es allerdings den Labors in Professor Roldans Abteilung noch nicht gelungen festzustellen, welcher Influenza-Virus die Grippe auslöste. Keine der durchgeführten serologischen Untersuchungen hatte bisher ein Ergebnis gezeitigt.
Aber nicht nur aus ärztlicher Sicht war das Problem höchst unangenehm. Der allergrößte Teil der Ländereien, die Santos-Cruz besuchen wollte, diente als Weideland für Rinderherden eines großen amerikanischen Nahrungsmittelkonzerns. Und er konnte nur hoffen, daß er nicht in die peinliche Lage geraten würde, einige der dort tätigen Landarbeiter in eine Art Quarantäne setzen zu müssen und damit den reibungslosen Ablauf der Fleischgewinnung zu stören. Dann würden ihm mit Sicherheit einflußreiche Politiker auf den Pelz rücken, die eine Trübung des guten wirtschaftlichen Klimas befürchteten.
Aber noch besteht kein Anlaß zur Aufregung, beruhigte sich Santos-Cruz, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Der Summer der Sprechanlage riß ihn aus seinen Gedanken. »Señor Santos? Der Fahrer ist da!«
»Danke, Señorita Valdano, ich komme sofort.« Santos-Cruz griff nach seinem
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