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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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denkt an eine Heirat? Es ist ein Liebesabenteuer, weiter nichts. Ein Rausch, der früher oder später verflogen ist. So sehe ich das jetzt. Es ist Jians erste, tiefgreifende Erfahrung mit einer Frau; er wird sich von selbst befreien. Aber ich möchte das Mädchen sehen, und Zhang wird sie kennen, wenn deine Ahnungen sich bewahrheiten.«
    »Wann willst du nach Dali fahren?«
    »Nicht jetzt. In den nächsten drei Wochen. Ich möchte Jian nicht bei Zhang treffen. Er soll nicht wissen, daß sein Geheimnis gelüftet ist.«
    An diesem Tag, an dem Jian unterwegs nach Huili war, vergaß Tong zum ersten Mal seine Ehrbarkeit, und er tat es aus Sorge um seinen Sohn. Er ging in Jians Zimmer und begann, es zu durchsuchen.
    Meizhu konnte ihre Betroffenheit nicht unterdrücken. »Shijun!« rief sie und stellte sich ihm in den Weg, als er die Schubladen einer großen Lackkommode aufziehen wollte. »Du kannst nicht in das Zimmer deines Sohnes einbrechen.«
    »Ich kann es! Es ist mein Haus! Ich habe das Recht – «
    »Du hast kein Recht!« unterbrach ihn Meizhu.
    Tong sah sie entgeistert an. Seine Frau widersprach ihm! Das war so ungeheuerlich, so unbegreifbar, daß ihm der Atem stockte.
    Aber auch Meizhu war sich bewußt, daß sie sich nun zum zweiten Mal gegen die traditionelle Ergebenheitspflicht der Frau auflehnte. »Das ist Jians persönliches Reich. Es gehört ihm allein.«
    »Er ist mein Sohn, und ich will wissen, was mein Sohn treibt. Kannst du mich davon abhalten?« Tong schob Meizhu mit einem Ruck zur Seite; es war das erste Mal in achtundzwanzig Jahren, daß er sie grob anfaßte.
    Meizhu taumelte gegen die Wand, und dort blieb sie in einer Erstarrung stehen, die Tong in seiner Aufregung falsch deutete. Das Blut hämmerte ihm in den Schläfen; er wollte nur noch wissen, wer das geheimnisvolle Mädchen war, das Jian liebte. Er sah in diesen Augenblicken nicht, daß sein Verhalten einen Graben zwischen ihm und seiner Frau hatte entstehen lassen, der nicht mehr zugeschüttet werden konnte, denn Meizhu war nach diesem Angriff nicht mehr gewillt, demütig zu bleiben. Sie nahm sich jetzt das Recht, eine eigene Persönlichkeit zu sein.
    Tong hatte die Schubladen der Kommode aufgezogen und untersuchte den Inhalt. Neben Lehrbüchern, Notizblöcken, Briefpapier und anderen Dingen bekam er auch eine Autokarte von Südwestchina in die Hand, eine sehr genaue Karte mit Kunming als Mittelpunkt und einem Sonderteil, der nur die Provinz Yunnan umfaßte.
    Tong setzte sich in einen Sessel, breitete die Karte auf seinen Knien aus und fuhr mit dem rechten Zeigefinger die Strecke ab, die offensichtlich Jian mit Rotstift eingezeichnet hatte: von Kunming oder Dali bis zur Kreuzung bei Nanhua, dann die Straße nach Norden über Yao'an und Dayao und von da eine schmale Straße wieder westwärts durch anscheinend ödes, wildes Land bis zu einem Kreis, den Jian in diese Einsamkeit gemalt hatte. Neben dem Kreis stand ein Name: Huili. Das war wohl ein Dorf und so unwichtig, daß es in keine Karte aufgenommen war.
    Tong legte beide Hände auf die Autokarte und sah Meizhu an, die immer noch wie eine Statue an der Wand stand. »Es ist nicht Dali«, sagte er gepreßt. »Es ist ein unwichtiges, dreckiges, unbekanntes Dorf zwischen Dayao und Binchuan. Ein elendes Bauernkaff.« Er schloß die Augen, als habe ihn ein Schlag getroffen. Er suchte sich an Jians Worte zu erinnern, die dieser bei seiner ersten Weigerung, Yanmei zu heiraten, gesagt und deren Sinn Tong damals nicht begriffen hatte. Was hatte Jian mit den Fragen gemeint: »Kann Yanmei Reisstecklinge setzen? Kann sie einen Pflug und einen Büffel lenken? Kann sie Unkraut aus den Feldern hacken?«? Tong hatte sie als unsinnige Fragen abgetan, aber jetzt bekamen sie einen Sinn.
    Ein Bauernmädchen aus Huili – das Ende der Familie Tong, deren Name schon zur Zeit der Ming-Kaiser bedeutend war.
    Meizhu stieß sich von der Wand ab, nahm mit spitzen Fingern die Autokarte von Tongs Knien und wußte, als sie die rot eingezeichnete Strecke sah, daß Shijun das Geheimnis seines Sohnes entdeckt hatte. Aber so heftig in dieser Stunde ihre Abwehr gegen ihren Mann war, so groß war auch ihre Einsicht, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
    Ein Bauernmädchen konnte nie die Frau von Jian werden.
    »Was willst du tun?« fragte Meizhu und ließ die Autokarte auf den Teppich fallen.
    »Es sind jetzt viele Überlegungen nötig«, erwiderte Tong. »Die erste ist: Weiß Zhang von diesem Bauernmädchen?«
    »Wer Zhang

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