Der Jade-Pavillon
wenn es keine Bauern gäbe, die Reis und Gemüse pflanzen und Tiere groß ziehen, damit er Fleisch auf seinem Teller findet? Kann er Tofu machen oder Gewürz mahlen? Nein, er winkt, und alles ist da, wie er es wünscht, und es ist selbstverständlich, daß er satt wird. Ist das wirklich selbstverständlich? Steht er so hoch über einem Bauern, der vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung seinen Schweiß fließen läßt, um dafür auch noch mißachtet zu werden? Hier stehe ich, der Lehrer Huang Keli, ein Miao, und dort Tong Shijun, der Professor und ein Han, und wir sind beide gleich, weil wir unsere Pflicht erfüllen. Das werde ich ihm sagen, wenn er vor mir stehen sollte. Und sein Kopf wäre leer, wenn er das nicht verstehen könnte. Er hat einen Sohn, und ich habe eine Tochter, und sie lieben einander – so ist die Welt doch in Ordnung.«
Zhang nickte Beifall, aber er schwieg. Eine Begegnung zwischen Tong und Huang würde wie eine Schwerterschlacht vergangener Jahrhunderte sein. Es gab nur einen Überlebenden, so lautete das Gesetz, und für Tong galt es noch immer, trotz Mao und Kommunismus.
»Die Zeit wird vieles ändern«, sagte Zhang beruhigend. »Und wir haben Zeit.«
Zwei Tage später fand Tong in Jians Zimmer die Autokarte. Und die Zeit raste davon.
Zhang, der es sich leisten konnte, Su Hongmo und seinen Wagen für einige Tage zu mieten, blieb länger in Huili, als es sein Plan gewesen war. Liang Taiping, ein Nachbar Huangs, räumte sein Zimmer für ihn und zog in den Stall, denn bequemer konnte man keine Yuan verdienen, und Zhang war großzügig in der Festsetzung der Miete. Su Hongmo erhielt ein Matratzenlager in einem Klassenraum der Schule, was nur den Nachteil hatte, daß er sein Bett um sieben Uhr morgens räumen mußte, weil eine Stunde später der Unterricht begann. Er saß dann bei Jinvan im Huang-Haus, erzählte Erlebnisse aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer und verbreitete Fröhlichkeit um sich, denn was er zu berichten hatte, waren Begebenheiten, über die man schallend lachen konnte. So hatte er einmal ein Liebespaar ziellos durch die Gegend gefahren, weil das Auto der einzige Ort war, wo sich die Liebenden ungestört treffen konnten, und diese Liebe war so heftig, daß plötzlich der Hintersitz krachend zusammenbrach. Der feurige Liebhaber hatte Mühe, die Reparatur zu bezahlen, und trug sie in vier Monatsraten ab.
Zhang benutzte die Zeit, um zu malen. Er zeichnete das Dorf Huili, die Felder und Reisterrassen und die roten Felsen, den schmalen Fluß, der im Frühjahr manchmal über die Ufer trat und die einzige Straße überschwemmte, so daß Huili von der übrigen Welt völlig abgeschlossen war.
Den ganzen Tag über saß Zhang auf einem Holzhocker in den Feldern, malte den Büffel bei seiner Arbeit und Lida, wie sie im Wasser der Reisterrassen stand, die Gemüsefelder hackte oder mit den aus dem Felsen gebrochenen Steinen eine neue Stützmauer errichtete, um eine bisher brach liegende Fläche zu einem neuen Reisfeld zu machen.
Auch ihr Gesicht malte er, ihre fast schwarzen Augen, die glänzenden Haare, den Schwung ihrer Lippen, ihre mädchenhafte Schönheit, die unter der schweren Bauernarbeit nicht gelitten hatte. Vor allem aber zeichnete er sie, wenn sie am roten Felsen auf einem großen Stein saß und aus dem Flechtkorb das Mittagessen holte, wenn neben ihr der kleine Jade-Pavillon stand und die Sonnenstrahlen glitzernd zurückwarf.
Zhang saß auch bei ihr, als unten auf der Straße ein japanisches Auto sichtbar wurde und nach Huili hineinfuhr.
»Das ist Jian!« rief Lida und sprang auf. »Jian ist gekommen! Onkel Zhang, er ist da! Er ist da!«
Sie rannte die schmalen Feldpfade hinab und schrie und winkte, und Jian lief ihr entgegen und breitete die Arme und fing sie auf, und sie kümmerten sich nicht darum, ob es schicklich war oder nicht, sie küßten sich auf der Straße, und es war ihnen gleichgültig, daß viele Frauen, die vor den Häusern saßen, ihnen zuschauten.
Und dann stand Jian vor dem neuen Haus, und Lida nahm ihn bei der Hand, öffnete die Tür und führte ihn hinein. Er sah, wie stolz und glücklich sie war, ihn damit zu überraschen, und sie schwieg und wartete auf seine Worte.
»Das Haus ist wunderschön«, sagte er und dachte dabei, daß das Gartenhaus der Tongs in Kunming, in dem sie die Gartengeräte abstellten, eine Villa war gegen diesen Bau. »Und diese Bilder! Sie sehen aus, als habe Onkel Zhang sie gemalt.«
»Sie sind von Onkel Zhang. Er hat sie uns
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