Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
muß ein vornehmes Pflaster sein – ich komme mit einer kleinen Tasche aus.«
    Jian lachte. Hier sprach man einen anderen Ton als in Kunming, und er gefiel ihm besser als die Höflichkeitssprache, die im Hause Tong selbstverständlich war. Er griff an seinen Hemdkragen, zog den gelbgestreiften Schlips aus und steckte ihn in die Hosentasche. Dann öffnete er den Kragen und die beiden oberen Knöpfe des Hemdes, zog die Jacke seines Anzugs aus und hängte sie lose über die Schulter. »Endlich bin ich den schrecklichen Würger los«, sagte er. »Aber ich mußte ihn ja tragen, sonst hättet ihr mich nicht erkannt.«
    »So gefällst du mir schon besser, Jian.« Holger nahm ihm die Reisetasche ab. »Und jetzt zu deinen Koffern!«
    Am Kofferband mußten sie fast zwanzig Minuten warten, bis Jian die beiden teuren Lederkoffer herunterheben konnte.
    Holger faßte den einen am Griff, hob ihn hoch und stellte ihn wieder ab. »Du meine Güte«, sagte er, »was ist denn da alles drin?«
    »Vieles, was ich nicht gebrauchen will. Allein sechs Paar Schuhe.«
    »Leder?«
    »Natürlich. Das feinste.«
    »Wir gehen morgen einkaufen, und ich verpasse dir ein Paar Langlaufschuhe aus Hongkong. Weißes Leinen mit bunten Streifen und einer biegsamen Profilsohle. Damit schwebst du über das Pflaster. Hast du schon mal solche Schuhe getragen?«
    »Nein. Mein Vater würde sie nicht als Schuhe bezeichnen.«
    »›Mein Vater.‹ Immer ›mein Vater‹! Hat der eigentlich immer bestimmt, was du tun mußt und was nicht?«
    »So will es die chinesische Tradition, an die er sich hält.«
    »Ich habe gehört, Ihre Familie ist uralt«, mischte sich Dr. Pohland ein.
    Jian nickte. »Es gab sie schon vor über tausend Jahren. Meine Ahnen waren Mandarine am kaiserlichen Hof.«
    »Erstaunlich, daß Ihr Vater die Kulturrevolution überstanden hat.«
    »Er ist ein überzeugter Kommunist.«
    Mit einem Taxi fuhren sie zu Dr. Pohlands Villa, wo Erika Pohland sie mit Tee und Gebäck erwartete und überrascht war, daß ihr Gast so gar nicht dem Klischeebild entsprach, das sie sich von dem Sproß einer tausend Jahre alten Familie gemacht hatte.
    »Bis auf die Unterwäsche und die Socken bleibt alles im Koffer, Ma«, sagte Holger, als sie Jian sein Zimmer gezeigt hatte. »Wir werden morgen Jian erst mal vernünftig einkleiden, damit er nicht der Goldfasan unter Spatzen ist.« Er setzte sich auf das Bett. »Spielst du ein Instrument, Jian? Wir haben nämlich eine Band, und es macht uns Spaß, in den Bars zu spielen und Yuan zu kassieren.«
    »Ich habe Klavierspielen gelernt«, antwortete Jian.
    »Bestens.«
    »Beethoven, Chopin, Brahms, Schubert und Tschaikowski.«
    »Das ist die beste Grundlage für einen fetzigen Rock.« Als seine Mutter das Zimmer verlassen hatte, sagte Holger mit einem Augenzwinkern: »Was glaubst du, wie verrückt die Weiber sind, wenn unsere Band spielt! Nicht nur die kleinen Chinesinnen – am schärfsten sind die Touristinnen. Amerikanerinnen, Schwedinnen, Engländerinnen, Deutsche. Für die gehört es zum Reiseprogramm, einen Chinesen zu vernaschen. Wie sieht es damit in Kunming aus? Da kommen doch auch Touristen hin.«
    »Ich bin verlobt«, sagte Jian.
    »Auch das noch. So richtig verlobt?«
    »Wir werden heiraten, wenn ich meine Schlußprüfung gemacht habe. Sie heißt Lida und ist die Tochter eines Lehrers.«
    »Und da rückst du ins ferne Beijing aus?«
    Jian sah Holger aufmerksam an. »Versprichst du mir, niemand etwas zu sagen? Deinem Vater nicht und auch nicht deiner Mutter?«
    »Sehe ich so aus, als würde ich das tun?«
    »Mein Vater hat mich wegen Lida nach Beijing versetzen lassen. Er will uns trennen. Ich bin zur Strafe hier.«
    »Und das läßt du dir gefallen?« Holger schüttelte den Kopf. »Junge, noch nie etwas von persönlicher Freiheit gehört?«
    »Sie ist mein ganzes Ziel. Gibt es in Beijing Freiheit? Fühlst du dich frei?«
    »Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, Jian: die allgemeine und die persönliche Freiheit. Ich versuche, nach Möglichkeit ein eigenes Leben zu leben.«
    »Und wie groß ist diese Möglichkeit?«
    »Das ist eine gute Frage. Wir sind dabei, für mehr Freiheit in China zu kämpfen.«
    »Wer ist ›wir‹?«
    »Eine Studentengruppe der hiesigen Universität. Ihr Führer ist Bai Hongda, ein guter Freund. Du wirst ihn kennenlernen.«
    »Und wie soll der Kampf aussehen?«
    »Wir werden demonstrieren, und die ganze Welt wird nach Beijing blicken. Was Deng Xiaoping eine Öffnung nach Westen nennt, ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher