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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tong Shijun verständigen?«
    »Nein. Er würde Jian nach Shanghai oder sonstwohin versetzen lassen. Ich will in Beijing auf sie warten.«
    Aber niemand wollte Huangs Büffel kaufen.
    Es war der 2. April 1989 – dieses Datum würde Jian nie vergessen –, als er aus der Universität kam und über den Vorplatz ging, hinüber zu den Hunderten von abgestellten Fahrrädern, um das seine herauszusuchen und nach Hause zu fahren. Wie gelähmt blieb er plötzlich stehen und starrte, als sähe er eine Vision, eine Gestalt an, die vor den Fahrrädern wartete. Sie trug eine Steppjacke voller Lehm- und Schlammflecken, eine unförmige, mit Watte gefütterte Hose, derbe, klobige Schuhe und eine dicke Wollmütze. Das einzig Saubere an ihr war ihr Gesicht, und in diesem Gesicht waren es die schwarzen Augen und der Mund, die ihn anlachten.
    Für Jian war es, als fiele die Sonne in sein Herz. Er rannte auf die Gestalt zu, mit weitausgebreiteten Armen, und als sie ihm mit einem Aufschrei entgegenlief, wollte er sie auffangen und an sich drücken, aber dann hielt ihn die ihm anerzogene Moral davon zurück, vor Dritten Zärtlichkeiten zu zeigen.
    Sie blieben dicht voreinander stehen. Er griff nach ihren beiden Händen, zog sie an seine Brust und spürte, wie sie zitterte und ihre Finger sich um seine Finger krampften. Mit versagender Stimme flüsterte er: »Lida!«
    »Jian!«
    »Wie … wie bist du nach Beijing gekommen?«
    »Ich bin einen Monat unterwegs gewesen.«
    Sie kümmerte sich nicht darum, ob die anderen Menschen ihnen zusahen, sie legte den Kopf an seine Schulter und schmiegte sich in seine Arme. »Mit Autos, Pferdekarren, Ochsenwagen und Traktoren der Bauern. Ab und zu habe ich heimlich gearbeitet, um ein paar Yuan zu verdienen, ich habe in den Reishütten geschlafen, neben Ziegelbrennöfen und in den Ställen, ich habe an den Garküchen auf der Straße gebettelt und habe gegessen, was andere übrig ließen, ich habe Früchte von den Märkten gestohlen. Und immer, jeden Tag, habe ich gesagt: ›Du mußt zu ihm, du mußt zu Jian. Seit einem halben Jahr, nein, noch länger, läßt er nichts von sich hören. Du mußt nach Beijing.‹ Und jetzt bin ich in Beijing und sehe und spüre dich, und ich weiß jetzt, daß es Wunder gibt, man kann sie erzwingen.«
    »Lida«, sagte er wieder, »Lida …«
    »Ich wäre dir überallhin gefolgt, und wenn ich ein Jahr unterwegs gewesen wäre.«
    »Und dein Vater hat dich nicht zurückgehalten?«
    »Er wußte es nicht. Ich bin in der Nacht fort. Ich habe ihm einen Zettel geschrieben. Vielleicht sehe ich ihn und meine Mutter nie wieder. Wo du bist, da ist mein Leben.«
    »Ich habe dir vier Monate lang jede Woche einen Brief geschrieben.«
    »Es ist nicht ein einziger in Huili angekommen. Weißt du, wie es ist, wenn man vor Verzweiflung den Wahnsinn kommen fühlt?«
    »Mein Vater«, sagte Jian bitter. »Er hat auf irgendeine Weise dafür gesorgt, daß meine Briefe dich nicht erreicht haben. Oder es war Fengxia. Fengxia mit der Macht der Partei im Rücken.«
    »Ich habe dich gefunden – alles andere ist unwichtig.«
    Er ließ sie los und sah sich um. Neben den Fahrrädern lag auf dem Pflaster eine Reisetasche aus Segeltuch. Jian bückte sich und hob sie auf. Sie war leicht und fast leer. »Ist das alles, was du mitgenommen hast?« fragte er.
    »Was ich an Unterwäsche brauchte, habe ich von den paar Yuan gekauft, die ich heimlich verdiente. Und wenn sie schmutzig war, habe ich sie weggeworfen und neue gekauft. Wo sollte ich denn waschen und trocknen? Ich durfte doch nicht gesehen werden. Ich weiß, daß ich schmutzig aussehe – aber ich bin in Beijing.«
    »Ich muß sehen, wo ich dich verstecken kann«, sagte Jian. »Bei mir kannst du nicht wohnen. Ich habe ein Zimmer im Haus eines Professors, und alles, was im Haus geschieht, meldet das Personal der Geheimpolizei. Du wärst noch keine Stunde da, dann würde dich die Miliz verhören. Gerade das Ausländer- und Diplomatenviertel wird besonders scharf beobachtet.«
    »Dann werde ich noch Jahre in einem Versteck leben?«
    »Nein.« Jian legte den Arm um Lidas Schultern. »Vielleicht nur ein paar Wochen. Es wird sich in China vieles ändern in der nächsten Zeit. Wir alle werden freier atmen können.«
    »Das verstehe ich nicht. Erkläre es mir, Jian.«
    »Später, Lida.« Er zog sie mit sich und fragte sich, was wohl die anderen Studenten bei Lidas Anblick dachten. »Ich werde meine Freunde alarmieren. Sie müssen uns helfen.«
    Sie setzten sich in

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