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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tisch, und ihr Gesicht war plötzlich alt, faltig und knochig, als hätten Wind und Sonne es ausgedörrt.
    »Sie ist weg«, sagte Huang tonlos. »Einfach weg. Unsere Tochter Lida hat uns verlassen. Sie ist davongeflogen wie ein Vogel im Herbst.« Er warf beide Hände vor sein Gesicht, und dann weinte er, und gleichzeitig stampfte er mit den Füßen auf, als wolle er die Erde vernichten, auf der er bisher gelebt hatte. »Ich habe ihr ein Haus gebaut, ich habe Schulden auf mich genommen, wir haben für sie alles verkauft, was wir entbehren konnten, wir haben mehr getan, als Eltern möglich ist – und sie geht, schleicht sich davon.«
    »Wohin will sie denn? Sie hat doch keinen Yuan bei sich!«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und wenn sie ein paar in der Hand hat, wie lange reichen sie?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie kann nicht weit kommen. Niemand wird ihr Unterkunft geben. Die Augen der Einheiten sind überall, das weißt du doch. Vielleicht irrst du dich, Keli, und sie ist allein aufs Feld gegangen.«
    »Und schmückt den Büffel mit Blütenkränzen?«
    »Das hat sie getan?« Jinvan senkte den Kopf. Wie Huang brauchte sie jetzt keine Beweise mehr, daß Lida wirklich gegangen war. »Die Liebe hat sie fortgetrieben«, sagte sie leise.
    »Sie kann doch nicht zu Fuß nach Beijing gehen!« schrie Huang auf. Schmerz zerriß ihn.
    »Sie wird Autos anhalten und sich mitnehmen lassen.«
    »Meine Tochter – eine Straßenbettlerin. Die Tochter des Lehrers Huang auf Karren mit Schweinen, Hühnern, Säcken, Steinen, Kohlen. Ich habe sie zu Anstand und Würde erzogen, und jetzt läuft sie wie eine streunende Hündin herum! O Jinvan, das tut so weh.«
    Als sich Jinvan im Haus Lidas umsah, gewahrte sie den Zettel, den Lida auf das Eckschränkchen gelegt hatte, auf dem immer der Jade-Pavillon gestanden hatte. Nur eine einzige Zeile war darauf geschrieben: »Vergebt mir, aber ich kann nicht anders.«
    »Sie ist zu Jian«, sagte Jinvan und hielt Huang den Zettel unter die Augen. »Jetzt wissen wir es genau. Sie ist auf dem Weg nach Beijing.«
    »Aber das ist doch Wahnsinn«, stammelte Huang und las immer wieder diese eine Zeile. »Wie kann ein Mensch so verrückt sein?«
    »Für Lida gibt es kein Leben mehr ohne Jian. Jetzt läuft sie diesem Leben nach. Wir können nichts tun, Keli, gar nichts. Aber ich weiß, daß sie wiederkommt, wenn sie ihr Leben eingefangen hat.«
    »Ich werde sie nicht wiedersehen.« Huang warf sich auf sein Bett zurück, legte Lidas Zettel auf seine Lippen und schloß die Augen. Er atmete schwer.
    Am Nachmittag, nach Schulschluß, ging Huang zum Ältesten der Einheit hinunter und setzte sich ihm gegenüber. »Ich habe dir eine Meldung zu machen«, sagte er mit trockenen Lippen. »Meine Tochter Lida ist weggegangen.«
    »Wohin?« fragte der Alte ohne sichtbare Regung.
    »Das weiß ich nicht.«
    »Will sie in die Stadt? Sie bekommt ohne unseren Willen keine Meldebescheinigung.«
    »Das weiß ich. Ich beantrage auch keinen Schein. Ich erfülle nur meine Pflicht und melde, daß sie uns verlassen hat.«
    »Du hast keinen Verdacht, warum Lida fortgegangen ist?«
    »Nein. Du hast ihr neues Haus gesehen, du weißt, was wir alles dafür geopfert haben – ich kann dir keine Erklärung geben.«
    »Man wird sie aufgreifen«, sagte der Alte ruhig. »Jeder, der fortgeht, strebt zu einem Ziel. Und dort wird sie den wachen Augen auffallen. Wie will sie leben, ohne Arbeit? Wo soll sie schlafen, ohne Bett? Huang Keli, du bist ein armer, geschlagener Vater. Aber du bist der Lehrer von Huili, die Trauer um Lida darf deinen Geist nicht verdunkeln. Du hast nicht nur deine Tochter, du hast viele Kinder, die du auf das Leben vorbereitest. Denk dir, Lida wäre gestorben. Da gäbe es keine Hoffnung mehr – jetzt aber ist noch Hoffnung.«
    »Werdet ihr Lida bestrafen, wenn sie wirklich zurückkommt?«
    »Das ist unsere Pflicht. Auch wenn du unser Lehrer bist, unsere Gesetze gelten für jeden.«
    Huang verabschiedete sich von dem Ältesten und kehrte in sein Haus zurück. »Was können wir noch verkaufen?« fragte er Jinvan.
    »Wir haben nichts mehr außer dem Büffel.«
    »Dann werde ich den Büffel verkaufen.«
    »Und wozu soll das Geld dienen?« fragte sie.
    »Ich werde nach Beijing fliegen«, sagte Huang hart. »Ich will da sein, wenn meine Tochter aus der Erde auftaucht. Ich lasse sie nicht allein, auch wenn sie weggelaufen ist. Sie bleibt mein Kind, und es ist die Ehre der Väter, verzeihen zu können.«
    »Sollen wir nicht auch
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