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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sondern nur eine Demonstration von Millionen Chinesen vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Es genügt nicht, was Deng bisher mit seiner Reform- und Öffnungspolitik erreicht hat. Es ist zu wenig, denn der wirtschaftliche Fortschritt ist ein Unsinn, wenn sich der innere Geist in China nicht ändert und die kommunistische Diktatur weiterbesteht. Wir wollen Rede- und Pressefreiheit, wir fordern die Kontrolle der Funktionäre und die Verfolgung der Korruption, wir wollen die Zulassung demokratischer Parteien, die eine Koalitionsregierung bilden, wir wollen über alles informiert werden, was diese Regierung plant und beschließt. Kurz: Wir wollen Demokratie. China muß aus seiner Isolation heraustreten.«
    »Und du glaubst wirklich, daß Deng Xiaoping dich anhört?«
    »Mich nicht. Ich bin nur ein Steinchen in dem Berg, der sich in Bewegung setzt. Millionen Stimmen wird er hören. Die Welt wird von ihm erwarten, daß er China erneuert. Tut er es nicht, muß er Jüngeren Platz machen.«
    »Die Armee wird gegen euch marschieren und euch niederschießen, wie damals die Rotgardisten der Kulturrevolution.«
    »So etwas kann sich nicht wiederholen. Die ganze Welt sieht zu.«
    »Ja, sie sieht zu – aber was wird sie tun? Zusehen, weiter nichts. Nicht eine Hand wird sich für euch rühren. Jian, was ihr plant, ist so sinnlos, wie mit einem Netz den Wind aufzuhalten. China, das hat mein Vater gesagt, wird nie ein Land der absoluten Freiheit werden, dazu hat es zu viele Menschen. Man kann China nie an anderen Staaten messen.«
    »Bai Hongda ist da anderer Ansicht.«
    »Hat Bai noch nie eine Landkarte angesehen? Hat Bai noch nie Zahlen verglichen? Europa und Amerika zusammengenommen haben weniger Einwohner als China; für sie ist es einfach zu sagen, Demokratie sei die einzige richtige Lebensform. Was wissen sie von den einsamen Bergdörfern und den Lederzelten in den Wüsten, vom eisigen Tibet und dem Millionenheer von Menschen in Mittelchina? China ist nicht Beijing oder Shanghai oder Guangzhou, China ist ein Fünftel der ganzen Menschheit.«
    »Ich bin erstaunt«, sagte Jian und streichelte Lidas Hände. »Welch eine kluge Frau habe ich! Aber deine Gedanken sind gefangen, wie wir bisher alle Gefangene eines Systems gewesen sind. Das soll sich ändern. Der Kommunismus hat sich überlebt. Blick nach Rußland hinüber, es sollte uns ein Beispiel sein. Glasnost und Perestroika haben die Menschen verändert, Gorbatschow hat ein neues Zeitalter für Rußland geöffnet, es gibt keine Militärblöcke mehr, die Atomraketen werden verschrottet … Warum soll sich China nicht auch ändern?«
    »Wieviel Menschen leben in Rußland? Zweihundert Millionen, zweihundertfünfzig Millionen? Eine Handvoll gegen China – wir sind über eine Milliarde! Jian, ich flehe dich an: Löse dich von diesen Freunden! Mach diese Demonstration nicht mit!«
    Längere Zeit sprachen sie so weiter. Plötzlich stand Bai Hongda vor ihrem Tisch und fragte: »Ist es erlaubt, daß ich mich zu euch setze?«
    »Warum fragst du? Setz dich«, antwortete Jian. »Ich versuche Lida zu erklären, was Demokratie ist.«
    Bai schürzte die Lippen und blickte Lida nachdenklich an. »Du wirst als Frau nicht verstehen«, sagte er, »daß ein Volk, das sich auf seinen Wert besinnt und aufsteht, stärker ist als der Starrsinn einiger alter Männer, die sich für kleine Götter halten.«
    »Ich bin in deinen Augen vielleicht ein dummes Mädchen, Hongda«, antwortete Lida, »aber was ihr auch tun werdet, ich werde neben Jian sein. Wir sind ein Mensch, ein Herz und eine Seele. Uns kann niemand und nichts mehr trennen.«
    »Wenn es so ist«, Bai lehnte sich zurück, »dann wirst du neben ihm gehen und ein großes Plakat tragen.«
    »Ich werde mit Jian zusammen alles tun.« Sie stockte, erschrocken über den Gedanken, der ihr plötzlich gekommen war; aber dann sprach sie ihn doch aus: »Und ich werde neben ihm auch sterben.«
    »Uns wird keiner aufhalten können«, sagte Bai selbstbewußt. »Es wird keinen Soldaten geben, der eine Waffe auf uns richtet. Die Armee ist eine Armee des Volkes, und wenn das Volk ruft, wird sie sich ihm anschließen.«
    Sie tranken noch einen Tee, dann erhob sich Bai und ging zu einer Vorlesung.
    Jian mußte in den Hörsaal III, wo ein Gastprofessor einen Vortrag über Speiseröhrenerkrankungen hielt. »Wie willst du dir jetzt die Zeitvertreiben?« fragte Jian, bevor sie die Mensa verließen. »Auch wenn die Sonne scheint, ist es noch kalt.«
    »Ich fahre mit
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