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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Körper soll in den tiefen, seit Jahren wasserlosen Brunnen geworfen werden.
    Doch was ist morgen? Morgen, wenn er ausgeschlafen ist? Dann gehen die Greuel weiter, dann ist er wieder der gnadenlose Kommissar. Dann zieht er weiter und verbrennt das nächste Dorf. Man muß ihn töten.
    Aber Huang zögerte. Er wog das Messer in der Hand, hörte aus der Dunkelheit hinter sich das schwere Atmen von Jinvan und Tifei, denn auch sie hatten noch nicht gesehen, wie man einen schlafenden Menschen abschlachtet wie einen Hammel.
    »Gib mir das Messer, Vater«, hörte Huang aus der Dunkelheit die Stimme seines Sohnes. »Ich werde es nicht bereuen.«
    Huang schüttelte den Kopf. Er kniete neben dem Bett auf den Lehmboden und beugte sich noch tiefer über Changs Gesicht. »Er hat Lida beschützt«, sagte er mit heiserer Stimme.
    »Weil sie noch ein Kind ist. Wäre sie drei Jahre älter, hätte man auch sie geschändet.«
    »Man soll nicht Taten anklagen, die nicht geschehen sind.« Huang erhob sich von den Knien und steckte das Messer in seinen aus Flachs geflochtenen Gürtel. »Die reinste Seele hat der, der verzeihen kann. Warten wir den nächsten Tag ab!«
    »Wenn der Drache wieder los ist und Feuer speit!« sagte Tifei voll Bitterkeit. »Du wirst nie ein Held werden, Vater.«
    »Ich will auch kein Held sein. Ich bin ein Lehrer, der die Kinder lehrt, ein gutes Leben zu führen. Helden sind nicht aus Magnolienholz, sondern aus Eisenholz, ich aber liebe die Magnolien.«
    So blieb Chang am Leben, und er erwachte, weil genau vor der Tür ein bunter Hahn laut krähte. Er richtete sich in Huangs Bett auf, sah sich um und bemerkte, daß der Lehrer neben dem Bett auf der Erde hockte, als hätte er ihn die ganze Nacht über bewacht. Und er sah auch das breite, blanke Messer in seinem Gürtel, das so gar nicht zu einem Lehrer wie Huang paßte, und er wußte sofort, daß er geradezu wundersam in ein neues Leben hineingeschlafen hatte. Er sah Chang in die müden Augen. »Warum hast du es nicht getan?« fragte er rauh.
    »Es ist keine rühmliche Tat, einen Schlafenden zu töten«, antwortete Huang.
    Das waren die letzten Worte, die man darüber sprach. Chang saß am niedrigen Tisch und schlang sein Frühstück hinunter, warme, kugelrunde Hefeklöße, eine Nudelsuppe mit kleinen Tofustücken, gesottene Lotusblütenböden und kaltes, scharfgewürztes, kleingehacktes Hühnerfleisch. Die ganze Zeit über sprach keiner ein Wort, aber ab und zu warf Chang einen Blick auf die kleine Lida, und es war ein Blick voll Wärme.
    »Was haben Sie noch vor, Genosse Kommissar?« brach Huang endlich das Schweigen.
    »Wir ziehen ab. In zwei Stunden sind Sie von mir befreit. Aber wir sehen uns wieder.«
    »Ich habe kein Verlangen danach«, antwortete Huang sehr mutig. »Warum wollen Sie wiederkommen?«
    »Ich will sehen, was aus Lida wird.« Chang stemmte sich hoch, zog sein Koppel, an dem die Pistole hing, gerade und griff in die Jackentasche. Er holte ein Bündel Geldscheine hervor und warf sie vor Jinvan auf den Boden. Ein Schein flatterte zum Feuer, und Lida war so schnell, ihn aufzufangen, bevor er in die Glut fiel. »Für dein Essen, Frau!« sagte Chang.
    »Gestohlenes Geld«, bemerkte Huang.
    »Sieht man's dem Geld an, Lehrer?«
    »Aber ich weiß es, wenn ich es ausgebe. An jedem Schein klebt Blut.«
    »Dann wasch sie, häng sie auf die Leine und laß sie trocknen.« Chang lachte, aber es klang wieder böse. »Weißt du, wieviel Blut und Schweiß am Geld der Kapitalisten klebt? Aber jeder nimmt es und macht noch eine tiefe Verbeugung dabei. Das, genau das wollen wir ändern. Das Volk soll wissen, was es wert ist. Wir sind in einem großen, geschichtlichen Umbruch. Lehrer, was weißt du von der neuen Zeit? Nichts. Du hast nie gelesen, was der große Lin Biao geschrieben hat: ›Weg mit dem Abfall! Frisches Blut muß in unsere Reihen!‹ Damit bist auch du gemeint. Du bist der Abfall. Das Gestern. Wir aber arbeiten für die Zukunft. Du bist nicht in der Partei?«
    »Nein.«
    »Du solltest es aber sein. Deinetwegen und wegen der Kinder und überhaupt. Als Mitglied der Partei findest du offene Türen und offene Ohren. Leb nicht in der Vergangenheit, sondern für die Zukunft. Ein Volk besinnt sich, wieder ein Volk zu sein, neue Menschen im Geist Maos.« Changs Stimme wurde jetzt fast feierlich, als müsse er eine Rede vor einem tausendköpfigen Zuhörerkreis halten. »Drei Dinge hast du zu schwören, dann bist du ein Chinese für das kommende Jahrhundert:
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